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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Voehl
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mehrmals nahm er anderen Verkehrsteilnehmern die Vorfahrt. Dass an diesem Morgen die Ampeln ausgefallen waren, machte jede Kreuzungsüberquerung zu einem Lotteriespiel.
    In einer Querstraße nahe dem Funkgebäude stellten wir den Morgan ab. Auf Schusters Rappen näherten wir uns merklich geräuschloser unserem Ziel. Ollie war schweigsam.
    Ich schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. »Na, na, jetzt bekommen Sie mal keinen Moralischen. So schlimm war es auch wieder nicht.«
    »Es geht um etwas anderes. Ich habe Sie nicht nur mitgenommen, um, äh Ihren psychischen Beistand zu erbitten ...«
    »Soll ich etwa Händchen halten?«
    »Ja, so ungefähr. A friend in need is a friend indeed 1 . Ich habe Ihnen noch nicht alles über mich erzählt, Moritz ...«
    »Das wäre ja auch noch schöner. Schließlich kennen wir uns erst seit vorgestern.«
    »Eben.«
    Wir überquerten die Hauptverkehrsstraße. Vor uns ragte das Funkgebäude auf mit der sich drehenden Weltkugel auf dem Flachdach.
    »Ich werde furchtbar nervös, wenn ich eine Rede halten soll.«
    »Keine Sorge, Sie werden nur interviewt.«
    »Noch schlimmer, darauf kann ich mich noch weniger vorbereiten. Ich werde quasi mit offenem Visier erwischt.«
    »Mit einem Satz: Es verschlägt Ihnen die Sprache.«
    »Schlimmer.«
    »Noch schlimmer?«
    »Ich fange an zu stottern.«
    Wir nahmen die Stufen und erreichten den Eingang. Ich öffnete die gläserne Tür und hielt sie ihm auf. Ollie zögerte. »Nur Mut. Wir werden das Ding schon schaukeln.«
    Ich erspähte die Anmeldung und eine dahintersitzende junge Dame, deren einzige Aufgabe es zu sein schien, die Besucher mit großen erwartungsvollen Augen anzustrahlen. Sie war blond und hübsch. Wahrscheinlich waren das alle hier.
    »Guten Morgen«, grüßte ich freundlich. »Wir werden erwartet. Steffi Klug gibt sich die Ehre.«
    »Dann sind Sie die Herren Dickens und Morgenstern?«
    Ich nickte überrascht. Sie war bestens informiert. Und Sie setzte noch eins drauf: »Sie sind Herr Morgenstern, nicht wahr? Ich habe Ihre Artikel immer mit Spannung verfolgt. Wissen Sie, dass Sie schuld sind, dass ich ein Journalistikstudium angefangen habe?«
    »Und dann sitzen Sie hier an der Anmeldung?«
    »Ich jobbe hier und lerne eine ganze Menge dazu.«
    Im Stillen entschuldigte ich mich bei ihr. Ich hatte sie falsch eingeschätzt. Ich schaute in ihr hübsches Gesicht und versuchte ihr Alter zu schätzen.
    »Ich bin zweiundzwanzig«, lächelte sie. Gedanken lesen konnte sie also auch.
    »Ich habe mir nur gerade vorgestellt, in welchem Alter Sie waren, als Sie meine Artikel gelesen haben.«
    »Ist das ein Flirtversuch?«
    »Nein, entschuldigen Sie. Es ist nur schon verdammt lange her.«
    Sie schaltete von fröhlich auf ernst. »Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen auf die Füße getreten bin. Ihre Artikel waren wirklich gut!«
    »Danke.« Ich war ehrlich gerührt. Es passierte mir nicht oft, dass sich in Lippe jemand an meine Arbeit erinnerte.
    Sie schaute auf ihre Liste. »Raum 13. Einfach die Treppe hinauf. Lassen Sie sich von dem ACHTUNG AUFNAHME-Schild nicht stören. Gehen Sie einfach leise hinein.«
    «Sind wir dann etwa scho- schon auf Sendung?«, schaltete sich Ollie ein. Er fing tatsächlich bereits an zu stottern.
    »Wenn Sie schweigen, nicht«, beruhigte ich ihn. »Kommen Sie!« Er machte einen so geknickten Eindruck, dass ich am liebsten seine Hand gehalten hätte. So ging ich nur voraus und gab ihm Zeit, sich für die bevorstehende Begegnung zu wappnen.
    Schließlich hatten wir sie erreicht. Die Tür mit der Nummer 13. Die Unglücksnummer, fuhr es mir durch den Kopf. Aber ich behielt meine Assoziation für mich. Schließlich wollte ich Ollie nicht noch mehr in Angst und Schrecken versetzen.
    »Also los!«, ermunterte ich ihn. »Wie heißt es doch so schön: Ein Engländer geht immer voran!«
    Das hatte ich mir ausgedacht, aber ich kam in keine Erklärungsnöte. In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, und eine Person kam herausgehastet. Sie trug eine Mappe unter dem Arm und wirkte dadurch sehr wichtig.
    Von der Person selbst nahm ich zunächst nur eine Art Blitzlicht auf. Dieses ließ sich mit einem einzigen Wort zusammenfassen: grau.
    An der Frau war alles grau. Der fusselige Pullover, die unförmige Hose, die schrecklichen Birkenstocks, das Gestell der Brille. Selbst die Haare, obwohl eher von einem schmutzigen Besenbraun, wirkten einfach nur: grau.
    »Entschuldigen Sie«, begann ich, rang aber nach Worten, während mich ein

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