Blut und Rüben
einer Rede an.
Wir hatten viel Zeit. Der Stau schien sich endlos hinzuziehen.
Irgendwann merkte ich, dass Ollie mir nicht mehr zuhörte.
Er träumte. Wahrscheinlich von Steffi.
Der Anruf kam gegen Abend. Norbert war am Apparat.
»Was ich dir jetzt sage, vergisst du in dem Moment, in dem du den Hörer wieder aufgelegt hast«, sagte er.
»Dann erzähl es mir lieber gar nicht erst«, gab ich zurück.
»Vielleicht kannst du mehr damit anfangen als ich: Vor einer Stunde bekamen wir den Anruf, dass ein Grab geschändet worden sei. Der Friedhofsgärtner hat es zufällig entdeckt, als er das Gelände abschließen wollte. Die Kollegen vor Ort haben festgestellt, dass der Leiche nachträglich der Kopf entfernt wurde ...«
Ich hielt den Atem an, während Norbert eine Pause machte. Normalerweise hatte er keinen Sinn für dramatische Akzente. Daher vermutete ich, dass er selbst noch einigermaßen verwirrt oder geschockt war. Schließlich fuhr er fort: »Bei der Leiche handelt es sich um die des Majors.«
»Man hat ihm den Kopf entfernt? Aber warum?«
»Wenn wir das mal wüssten. Jedenfalls ist der Kopf verschwunden.«
Ich musste an Ludwig denken. »Jetzt haben wir zwei Tote. Einem fehlt der Kopf, dem anderen der Körper. Das muss ein Verrückter sein, der so etwas macht!«
»Wenn es derselbe Täter ist. Im Moment sieht alles danach aus.«
Ich überlegte. »Dann erscheint auch der Tod des Majors nachträglich in einem ganz anderen Licht. Könnte es sein, dass uns jemand mit der Nase darauf stoßen will, dass es kein Selbstmord war?«
9.
Sie kamen zu zweit. Sie trugen schwarze, eng anliegende Kapuzen mit Sehschlitzen für die Augen. Einer hatte einen Knüppel dabei, der andere ein Messer.
Ich war nach draußen gegangen, weil mir eingefallen war, dass ich den Mülleimer noch nicht rausgestellt hatte. Dazu musste ich mit dem Mülleimer fünfzig Meter weit den Pfad hinuntergehen und ihn an der Hauptstraße abstellen.
Ich hörte sie, bevor ich sie sah. Sie gaben sich keine große Mühe, ihre Schritte zu dämpfen. Es gab ein knackendes Geräusch, so als wenn jemand auf einen Ast getreten wäre. Ich fuhr herum. Sie kamen hinter den Büschen hervor. Ich erkannte augenblicklich, dass ich in Gefahr war.
Die beiden waren nicht zufällig hier aufgetaucht, um mit mir zu reden.
Ich spürte, wie ich erstarrte. Ich hatte irgendwo gelesen, dass es gegen einen Messerangriff in freier Natur zwar viele Möglichkeiten gab, sich zu schützen, aber nur eine, die einen mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kampf unverletzt überstehen ließ: die Flucht.
Die beiden kamen langsam heran, und ich stand immer noch auf demselben Fleck. Der Schock kam mit voller Wucht. Jeder, der schon einmal in eine gewalttätige Auseinandersetzung verwickelt gewesen ist, kennt die Symptome: Die Feinmotorik versagt, stattdessen schaltet das Gehirn auf Grobmotorik. Die Bewegungen werden langsamer, plumper. Die Reaktionszeit wird deutlich länger. Jemand hatte es mir einmal so beschrieben: »Wenn du angegriffen wirst, reagiert dein Körper, als wenn du unter der kalten Dusche stehst. Achte dabei mal auf deine Atmung: Sie wird flach und hektisch.« Genauso war es jetzt. Ich spürte mein Herz gegen meine Brust hämmern.
Die beiden waren nur noch fünf Meter entfernt.
»Was wollt ihr?«, fragte ich. »Verschwindet!« Ich versuchte, meiner Stimme einen festen Klang zu geben, aber es misslang.
»Du kannst es nur trainieren«, erinnerte ich mich, »wenn du möglichst oft kalt duschst. Immer wieder. Und dabei versuchst, trotz der Kälte bewusst und langsam zu atmen. Nur so erhält dein Gehirn die Kontrolle über Körper und Geist zurück.«
Die zwei sprachen kein Wort. Ich versuchte, meinen Atem zu kontrollieren. Von irgendwoher hörte ich Gebell. Luna! Aber sie war weit weg! Im Haus! Und ich wusste noch nicht einmal, ob ich nicht die Tür hinter mir zugezogen hatte, ich Idiot.
Der erste Angreifer schwang den Knüppel und schlug zu. Schweigend. Ohne Worte. Eiskalt.
Instinktiv riss ich die Arme hoch und bedeckte schützend meinen Kopf. Knochen splitterten. Ein unglaublicher Schmerz durchzog meine Unterarme.
Ich kämpfte den Schmerz nieder. Mein Geist löste sich von meinem Körper, ich hatte das Gefühl, als unbeteiligter Dritter danebenzustehen. Wie durch einen Tunnel sah ich nur den anderen Gegner.
Den mit dem Messer. Der war wirklich gefährlich. Er wollte mich töten. Ich erkannte es mit meinen geschärften Sinnen.
Ein zweiter Schlag. Mein Körper krümmte
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