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Blut und Silber

Blut und Silber

Titel: Blut und Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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in den letzten Tagen erlebt hatte.
    Aus Gewohnheit wollte sie nach Jan Ausschau halten, doch dann wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie ihn nie wiedersehen würde.
    Vor dem Fall der Stadt hatte sie jeden Tag darum gebetet, dass er und sein Bruder nicht unter denen waren, die sterbend oder verletzt zu ihr gebracht wurden. Davon ließ sie auch nicht ab, obwohl Jan sie kaum beachtete, sondern viel öfter anderen, hübscheren Mädchen nachschaute. Dass er nun tot war, ohne dass sie ihn noch einmal gesehen hatte oder ihm – wie vielen anderen – bei seinen letzten Atemzügen die Hand halten konnte, erschien ihr unfassbar.
    Sie bemerkte Markus erst, als er schon neben ihr stand und sie ansprach. »Wie schön, dich zu sehen, Änne!«
    Sie hatte ihn selten lächeln sehen, seit dem Tod seines Bruders nie mehr. Jetzt aber blickte er sie freundlich an, auch wenn ihn sein eigenes Aussehen Lügen strafte: hohlwangig und mit einem Verband um den Kopf, den sie ihm angelegt hatte, nachdem er vor zwei Tagen im Kampf ein halbes Ohr eingebüßt hatte.
    »Weißt du, dass meine Bogenschützen Wetten abgeschlossen haben, welche Farbe dein Haar hat?«, fragte er, und die Spur eines Lächelns huschte über seine Züge. »Willst du uns das Rätsel heute lösen?«
    Prompt schoss ihr das Blut ins Gesicht und brachte ihre Wangen zum Glühen. Sie hätte nie gedacht, dass die Männer über sie sprechen würden. Hatten sie denn keine anderen Sorgen?
    »Lass mich deinen Verband überprüfen«, sagte sie, den Blick gesenkt, um ihre Verlegenheit zu überspielen.
    »Es heilt gut, dank dir«, sagte er, folgte ihr aber ins Prägehaus und setzte sich neben sie auf den Boden. Vorsichtig löste sie den Leinenstreifen. Die Wunde verheilte wirklich zufriedenstellend.
    »Was wirst du tun, wenn wir Freiheitsstein verlassen?«, fragte er. Überrascht ließ sie die Hände sinken. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht, seit sie auf die Burg gekommen war.
    »Ist es nicht müßig, sich darüber Gedanken zu machen?«
    Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie vorwurfsvoll an. »Das muss heute nicht der letzte aller Tage sein!«, mahnte er leise. »Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben.«
    Seine Stimme und sein Blick hatten etwas so Beschwörendes, Tröstendes an sich, dass sich Änne trotz ihrer Scheu am liebsten an ihn gelehnt hätte.
    Sie konnte sich nicht vorstellen, in ihr altes, trostloses Leben bei Jenzin zurückzukehren. Womöglich hatten der Vormund und seine Frau jetzt Einquartierung und ließen ihre schlechte Laune darüber an ihr aus. Und was würden erst die königlichen Besatzer tun, wenn ihnen jemand zutrug, dass sie den verletzten Kämpfern auf der Burg geholfen hatte? Irgendwer würde das verraten, auch wenn Jenzin selbst es aus Angst verschwieg.
    Hans Lobetanz, der wäre gemein genug, dachte sie. Plötzlich stand ihr die Szene wieder vor Augen, wie er ihre Hand zerschmettern wollte. Im nächsten Atemzug fiel ihr ein, dass Wilhelm vorhatte, sie zu heiraten.
    »Der Großknecht will um meine Hand anhalten«, sagte sie verlegen.
    »Der Großknecht?«, entrüstete sich Markus. »Von meinem Bruder weiß ich, dass dich dein Vormund schlecht behandelt. Aber dich dem Knecht zur Frau zu geben …«
    Er hatte mit Jan über sie geredet! Am liebsten wäre Änne im Boden versunken. Was mochten sie dabei gesprochen haben?
    »Nein, das war Wilhelms Idee«, sagte sie rasch und blinzelte die Tränen weg. »Er will mir helfen.«
    Völlig unerwartet für sich selbst, verspürte sie den Drang, zu erzählen, wie Jenzins Neffe sie bedroht hatte.
    Jegliche Freundlichkeit verschwand dabei aus Markus’ Zügen. So furchteinflößend hatte sie ihn noch nie gesehen.
    »Dieser Lobetanz soll mir unter die Augen kommen, wenn das hier vorbei ist!«, stieß er zornig hervor.
    Dazu müssen wir erst einmal den morgigen Tag überleben, dachte Änne und strich vorsichtig Markus’ braune Locken zurück, um das Ohr neu zu verbinden.
    »Vorbei?«, fragte sie mit brüchiger Stimme, ohne ihm in die Augen zu sehen. »Das hier wird nie vorbei sein. Der König herrscht nun über die Stadt. Seine Männer werden Rache nehmen an denen, die ihm auf der Burg Widerstand leisteten.«
    Sie sah noch genau vor sich, in welchem Zustand Sibylla ihnen entkommen war. Würde ihr so etwas auch bevorstehen?
    Angesichts des Erlebten hatte sie die Hoffnung längst aufgegeben, dass das Sterben nicht weh tun würde; nur schnell sollte es gehen, das war jetzt noch ihr einziger Wunsch. Ob Markus ihr dabei

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