Blut und Sünde
»He, verdammt, was habt ihr denn? Was ist los mit dieser verfluchten Gestalt?«
»Es gibt sie nicht mehr!« rief ich zurück.
Er lachte, und es hörte sich ungläubig an. »Okay, aber ich bleibe hier oben. Ich sage euch dann Bescheid, wenn noch so eine auftaucht.«
»Gibt es denn eine zweite?« rief Jane hoch.
»Weiß ich nicht, verflucht! Ich weiß überhaupt nichts mehr. Das ist Horror pur. Scheiße, ich bin doch nicht in einem Gruselfilm. Ich bin überhaupt nicht im Film…«
»Hören Sie, wir brauchen eine Antwort!«
»Keine Ahnung, Lady, keine Ahnung. Es kann sein, dass da noch jemand Echtes herumläuft. Ist ja alles möglich, verflucht.« Er hustete. »Wo sind die anderen?«
»Das wollten wir von Ihnen wissen.«
»Bestimmt in der Garderobe oder so.«
»Danke.«
»Er wird recht haben«, erklärte Lady Sarah. »Und ich werde euch führen, denn ich kenne mich hier aus. Ich habe das Theater zuvor besichtigen können. Es ist nicht weit, kommt.«
Sie wollte gehen, doch ich hielt sie fest. »Sarah, bitte, wir kennen das Spiel. Bleib bitte im Hintergrund und begib dich nicht in Gefahr.«
»Mein Blut wird nicht schmecken.«
»Warte es ab.«
Sie streichelte meine Wange. »Okay, mein junge, das ist schon gut so. Ich werde dir schon keinen Ärger machen. Wir kriegen das alles in den Griff.«
Ich gab ihr durch mein Nicken recht. Meine Gedanken aber bewegten sich in einer anderen Richtung weiter.
Mir war klar, dass diese Person nicht allein als Vampir unterwegs gewesen war. Es musste zumindest noch eine Veränderte geben. Die kannten wir. Sie war aus dem Sarg geklettert. Jeder im Zuschauerraum hatte es mitbekommen, und jeder hatte auch ihre Zähne gesehen.
In der Geschichte des Grusicals war sie die Geliebte gewesen, die als Untote hatte zurückkehren sollen. Sie war zurückgekehrt, aber nicht als Schauspielerin oder Mensch, sondern eben als Blutsaugerin, die sich bereits ein erstes Opfer geholt hatte. Ich fragte mich zudem, ob die anderen Bescheid wussten und inwiefern sie informiert waren. Das konnte alles sein, musste aber nicht.
Als ich Sarah Goldwyns fragenden Blick sag, nickte ich. »Okay, dann lasst uns gehen…«
***
Katharina Gorman holte tief Luft und schüttelte den Kopf. Sie sah die beiden Tänzerinnen, die zwei Mönche, den Inspizienten. Alle wirkten verständnislos. Abgesehen von Osmin, der kreidebleich an der Wand lehnte und eine Hand vor den Mund presste.
Sie hielt den Theaterdegen noch in der Hand und hämmerte ihn gegen den Boden. »Verdammte Scheiße, warum sagt ihr denn nichts?« brüllte sie den anderen entgegen. »Warum nicht?«
»Wo… wo… ist Florence?«
Beinahe hätte Katharina geschrien, als sie die Frage gehört hatte, die ihr so gar nicht passte. Sehr laut gab sie die Antwort, die dem Inspizienten galt.
»Hast du mich nicht verstanden, Roger? Diese Person ist nicht mehr Florence Turner, wie du sie kennst. Wie ihr alle sie kennt. Sie ist kein Mensch mehr. Aus dem Sarg kroch eine Blutsaugerin, eine echte Vampirin. Versteht ihr das? Habe ich nicht deutlich genug gesprochen?«
Einer der beiden Mönche hob den rechten Arm. »Aber Moment mal. Vampire gibt es doch nicht. Nicht in der Wirklichkeit, meine ich. Die sind nur im Kino und…«
»Haben Osmin und ich auch angenommen. Das ist ein Irrtum gewesen. Es gibt sie.«
»Florence soll…?«
»Nein, nicht nur soll. Sie ist es. Sie ist zu einer Blutsaugerin geworden. Und sie will euer Blut, versteht ihr das? Sie will euch leer trinken, um selbst ihr verdammtes Dasein fortführen zu können. Das ist es, was ich euch sagen will.«
Danach herrschte Schweigen, bis eine der Tänzerinnen sprach. »Aber das wird man doch nicht so einfach. Ich meine… nicht von heute auf morgen. Da muss doch etwas passiert sein…«
»Ist es auch.«
»Was denn?«
»Sie ist zu einer Blutsaugerin gemacht worden!« schrie Katharina. »Sie wurde selbst angegriffen, gebissen. Etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen.«
»Und von wem?«
Beinahe hätte Kathy Gorman gelacht. »Das ist die Frage. Ich habe sie mir gerade noch vom Hals halten können.« Sie hob die Bühnenwaffe hoch. »Hier, mit dem Degen. Damit konnte ich sie zurückstoßen. Hätte ich ihn nicht gehabt, wären wir jetzt verloren. Aber ich habe mich wehren können, und das war Rettung im letzten Augenblick. Fragt Osmin. Er ist dabei gewesen.«
Gorman nickte nur. Er hatte sich wieder gefangen und war auch von der Wand weggetreten.
Allerdings konnte er das Zittern nicht unterdrücken
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