Blut und Sünde
Hintergrund gedrückt. Sie wusste, wie gefährlich die Blutsauger waren. In ihrem Alter war sie auch nicht so schnell auf den Beinen wie wir.
Ein kaltes Licht fiel vom Schnürboden nach unten. Es sah aus, als hätte eine Sonne den Himmel verlassen und sich als Kreis auf dem Bühnenboden abgemalt. Die Untote stand genau im Zentrum des Kreises. Sie hatte sich mit einer letzten Bewegung aufgerichtet und drehte uns das Gesicht zu.
Wir sahen sie zum erstenmal überdeutlich. Das Gesicht war an der Nase eingeschlagen. Die Augen bewegten sich nicht mehr. Sie blieben starr, aber sie schaute gezielt auf mich und dann auf Jane Collins, die einen Bogen geschlagen hatte und sich wie schützend neben mich stellte.
Wie diese Person stellte man sich wirklich keinen Vampir vor. Eine rundliche Frau, die in ihrem Kittel wie eingepackt wirkte. Nicht besonders groß, aber mit dem Keim der Blutsauger versehen, denn sie hielt den Mund offen. Aus dem Oberkiefer schauten die beiden Zähne hervor, die wie spitze Messer waren und hell schimmerten.
Sie hatte sich noch nicht orientiert. Sie sah uns, und sie roch auch unser Blut, das für sie die perfekte Nahrung war. Lange konnte sie noch nicht zu der Truppe der Widergänger gehören. Wahrscheinlich war sie erst vor kurzem erwacht und hatte es oben auf dem Schnürboden versucht.
Von dort her hörten wir auch die Männerstimme. »Haut ab, verdammt! Das ist kein Trick. Die will euch leer saugen. Die ist echt. Das ist eine Bestie!«
Er hatte ja recht. Nur würden wir uns nicht zurückziehen. Er kannte uns nicht. Auf seine Warnungen hörten wir nicht. Der Kegel des Scheinwerfers blieb als Kreis auf der Bühne und behielt auch den Mittelpunkt.
»Willst du die Beretta oder das Kreuz nehmen?« flüsterte Jane Collins mir zu.
»Das Kreuz.«
»Ich bin waffenlos, John.«
Ich überließ ihr die Beretta.
»Danke.« Jane behielt die Waffe in der Hand und richtete die Mündung auf die Untote.
Ich trat vor. Verdeckte Jane. Jetzt hielt ich mich schon in greifbarer Nähe der Veränderten auf. Aus dem dunklen Hintergrund ermahnte mich Sarah Goldwyn, nur ja Acht zu geben.
Auch die Untote hatte die Stimme gehört. Sie drehte den Kopf von mir weg, und ich trat vor. Plötzlich war ich so dicht bei ihr, dass sie mir nicht mehr ausweichen konnte.
Ich hob die rechte Hand, mit ihr kam auch das Kreuz in die Höhe, und dann malte sich sein größter Teil von ihrem Gesicht ab.
Sie sah und spürte es auch. Ich merkte die leichte Wärme. Ich sah, wie sich das Gesicht der Frau verzerrte. Das Wissen um etwas Schreckliches malte sich auf den Zügen ab. Sie wollte noch zurückweichen, doch das ließ ich nicht zu.
Die Berührung zwischen ihr und dem Kreuz war nicht mehr aufzuhalten. Sie brüllte nur kurz auf, während das geweihte Metall die Haut am Hals berührte.
Sie torkelte zurück und geriet aus dem Lichtschein. Der Mund stand weit offen. In der Kehle schien es zu kochen, und an ihrem Hals sah ich den Abdruck des Kreuzes. Aus ihm löste sich der graue Rauch, während der Umriss in einem Rotbraun schimmerte.
Dann fiel sie einfach um. Wir hörten alle das dumpfe Geräusch, mit dem sie auf den Bühnenboden schlug. Ihre Beine bewegten sich noch trampelnd, die Füße rutschten auf den Hacken vor und zurück, und wenig später lag sie völlig still da. Fast wie eine Schauspielerin, die in ihrer Rolle gestorben war.
Nur würde sie nicht mehr aufstehen, wenn der Vorhang gefallen war. Für dieses Monstrum war er ein für allemal gefallen. Sie würde keinen Tropfen Blut mehr saugen können.
Ich hörte und sah auch Sarah Goldwyn kommen. Sie ging sehr langsam und schüttelte dabei den Kopf. »Mein Gott, was ist das nur für ein Schicksal. Vor einigen Stunden hat sie noch gelebt, und nun dies.«
Ich hatte das Kreuz wieder in die Tasche gesteckt. Jane Collins half mir dabei, die vernichtete Untote in den hellen Kreis zu ziehen. Jetzt konnten wir sie überdeutlich sehen. Der Gesichtsausdruck, den ich noch so schreckverzerrt erlebt hatte, war wieder normal geworden. Er sah friedlich aus. Die Garderobiere hatte in ihrem Ende ihren Frieden gefunden und wahrscheinlich einen neuen Anfang erlebt. Der Abdruck des Kreuzes war noch zu sehen. Menschliches Blut würde sie nie mehr trinken können.
»Das war die erste«, flüsterte Sarah Goldwyn. »Könnten es noch mehr sein?«
Wir kamen nicht dazu, darüber zu sprechen, denn der Zeuge oben auf der Beleuchterbrücke hatte alles mit angesehen. »He!« hörten wir seine Stimme.
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