Blut vergisst nicht: 13. Fall mit Tempe Brennan
meinen Beifahrersitz setzte, wehte der Geruch von billigem Duftwasser und schalem Schweiß in meine Richtung.
Nicht sehr angenehm, aber besser als die Gerüche, die ich eben hinter mir gelassen hatte.
Lowery drückte sich ein Album mit Goldrand an die Brust. Den Blick auf etwas hinter der Windschutzscheibe fixiert, trommelte er mit schwieligen Daumen auf den Ledereinband.
Sekunden vergingen. Eine ganze Minute.
Schließlich setzte er zum Sprechen an.
»Meine Mama hat mir einen Knaller von einem Namen gegeben, Plato. Die Witze können Sie sich vorstellen.«
»Ich weiß, was Sie meinen.« Ich klopfte mir auf die Brust. »Temperance. Die Leute denken, ich bin eine Bewegung zur Wiedereinführung der Prohibition.«
»Drum habe ich für meine Jungs gute, solide Namen ausgesucht.«
»Bei John kann man kaum was falsch machen«, sagte ich und wunderte mich, warum Lowery den Plural verwendet hatte.
»John war gerade mal fünf, als er anfing, Spinnen zu sammeln. Stellte sie in Gläsern auf sein Fensterbrett. Rote, gesprenkelte, große, haarige schwarze. Das wurde so heftig, dass seine Mama Angst hatte, sein Zimmer zu betreten.«
Ich unterbrach ihn nicht.
»Sobald er lesen konnte, lieh John sich Bücher in der mobilen Bibliothek aus. Er redete von nichts anderem mehr. Spinnen hier und Spinnen dort. Was sie fraßen, wo sie lebten, wie sie Nachwuchs machten. Die Bibliothekarin besorgte ihm jedes Buch, das sie in die Hände bekam. Ich arbeitete nicht viel, konnte ihm keine kaufen.«
Lowery hielt inne, den Blick noch immer nach draußen gerichtet, vielleicht sogar aus diesem konkreten Augenblick hinaus.
»Irgendwann fingen die Leute an, ihn Spider zu nennen. Der Spitzname klebte an ihm wie Kaugummi an einer Sohle. Dauerte nicht lange, und keiner dachte mehr an John. Sogar seine Lehrer nannten ihn Spider.«
Wieder verstummte Lowery. Ich drängte ihn nicht.
»Spinnen waren nicht alles. John liebte Tiere. Brachte alle möglichen Streuner mit nach Hause. Seine Mutter ließ die meisten bleiben.«
Lowery drehte sich mir zu, hielt aber den Blick gesenkt.
»Harriet. Sie starb vor fünf Jahren. Die Niere machte nicht mehr mit. Harriet war immer kränklich, auch nach der Transplantation.«
»Das tut mir sehr leid.«
»Spider bot seiner Mama eine seiner eigenen Nieren an. Daran sieht man, wie großzügig der Junge war.« Lowerys Stimme wurde dunkler. »Hat nicht funktioniert.«
»Spider hatte einen Zwillingsbruder,Thomas. John und Tom. Gute, solide Namen. Tom ist auch tot. Starb 2003 auf einem Traktor. Beide Söhne zu verlieren hat Harriet einfach den Wind aus den Segeln genommen.«
»Trauer hat Folgen, die noch nicht völlig verstanden sind.«
Lowery hob jetzt den Blick und schaute mir in die Augen. In seinen sah ich die Qual wieder aufgebrochenen Schmerzes.
»Haben Sie in diesem Sarg ein Glas gefunden, Miss?«
»Ja, Sir. Das habe ich.«
»Ich habe es da reingestellt.« Er hielt inne, vielleicht verlegen, vielleicht dieses Geständnis bedauernd. »War albern.« Mit einem leichten Kopfschütteln wandte Lowery sich ab. »Ich ging raus und fing eine Spinne und gab sie meinem Jungen mit.«
»Das war eine sehr schöne Geste, Mr. Lowery.«
»Mein Junge.« Lowery klopfte sich so heftig auf die Brust, dass ich hochschrak. »Und er entwickelte sich zu einem anständigen jungen Mann.« Lowery spannte die Kiefermuskeln an, entspannte sie wieder. »Deshalb schwadronier ich ja jetzt so. Ich will, dass Sie Spider als Menschen sehen, wenn Sie ihn aufschneiden.«
»Mr. Lowery, ich werde nicht diejenige sein, die —«
»Seine Mama hat das hier die ganze Zeit aufbewahrt.«
Als Lowery sich zu mir beugte, wurde seine Geruchsmischung überwältigend. Er klappte das Album auf und gab es mir.
Auf jeder Seite waren vier bis sechs Fotos. Schwarz-weiße mit wellenförmigen Rändern. Baby- und Schulporträts. 7-mal-12-Abzüge aus dem Drugstore.
Ich blätterte durch die Seiten und fragte nach Menschen, Orten, Ereignissen. Lowery gab mir kurze, oft nur aus einem Wort bestehende Antworten. Weihnachten 1954. 1961. 1964. Ein Ausflug an den Myrtle Beach. Harriet. Tom. Das Haus an der Red Oak. Der Wohnwagen am See. Auf jedem Foto war eine jüngere Version des Jugendlichen zu sehen, dessen Foto ich in Jean Lauriers Schreibtischschublade gefunden hatte.
Ein Schnappschuss zeigte Plato und eine Frau, von der ich annahm, dass es Harriet war.
»Ist das Ihre Frau?«, fragte ich.
Plato wartete nun mit einem für ihn untypischen Detail auf. »Harriet
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