Blut vergisst nicht: 13. Fall mit Tempe Brennan
Fahrzeug noch Brieftasche.
»Wie kommst du dann nach Hause?«
»Der Polizist hat wahrscheinlich ganze Stapel von Formularen, die ich ausfüllen muss. Vielleicht hat er Mitleid mit mir. Oder bestellt mir ein Taxi.« Falls Susie die Samariterin mit ihrem Handy schon abgedampft ist.
»Würde nicht auch die Mietwagenfirma jemand schicken, um dich abzuholen?«
»Richtig. Bei Avis werde ich très beliebt sein.« Mir graute schon jetzt vor dem Anruf.
»Der Unfall war nicht deine Schuld.«
»Das wird sie aber freuen.«
»Hallo?«
Ich drehte mich um.
Der Polizist stand an seinem Streifenwagen und rief mir zu. Schon etwas älter, um die fünfzig. Palenik. Auch bei Officer Palenik war ich très beliebt. Kein Ausweis. Kein Führerschein. Das Auto in drei Meter tiefem Wasser.
»Ihre Geschichte klingt einleuchtend«, bellte Palenik den Schaulustigen zuliebe. »Können wir jetzt zur Sache kommen?«
»Bin gleich bei Ihnen«, schrie ich zurück. Zu Ryan: »Hör zu, ich muss Schluss machen. Wir sehen uns im Haus.«
Ich hatte recht gehabt. Tolstoi hatte für Krieg und Frieden weniger Papier gebraucht als die Polizei von Honolulu für einen Autounfall.
Ich füllte eben das letzte Formular aus, als ein weißer Ford Crown Victoria auf der Straße wendete und neben uns hielt. Das Bankett war jetzt wieder leer bis auf den Streifenwagen, in dem ich mit Palenik saß.
Der Fahrer des Crown Vic stieg aus, zog seine Hose hoch und kam in unsere Richtung. Die Hose war weiß. Das lose flatternde Hemd war Aloha-blau und -rot. In der linken Hand hatte er eine Sporttasche.
Ausgehend von der Größe, wusste ich nicht so genau, ob der Kerl schon richtig erwachsen war.
Palenik beobachtete ihn, ohne sich in seinem Sitz zu rühren.
Aus der Nähe betrachtet, erledigte sich die Altersfrage. Auch wenn er nur knapp eins sechzig groß war und vielleicht sechzig Kilo wog, sah man unserem Besucher am Gesicht an, dass er Mitte vierzig war. Hohe Wangenknochen und versteckte Oberlider deuteten auf asiatische Abstammung hin. Türkise Augen und rötlich blonde Haare deuteten auf einen Beitrag von andernorts hin.
Der Mann legte den Unterarm an der Fahrerseite aufs Autodach, stützte sich darauf und sprach mit Palenik.
»Aloha, Ralph.«
»Aloha, Detective.« Detective? »Wie läuft's?«
»Kann nicht klagen.«
Die Türkisaugen wanderten zu mir. »Dr. Brennan, nehme ich an?«
Palenik grinste. Zum ersten Mal. »Wie lange wartest du schon drauf, diesen Spruch anzubringen?«
»Ist doch nett, wenn man einem alten Klassiker einen eigenen Dreh geben kann.« Detective Namenlos grinste ebenfalls.
Meine Kleider klebten mir am Körper. Mein Make-up war nur noch Pampe auf meinem Gesicht. Meine Haare hingen in salzigen, nassen Strähnen herunter. Mein Auto war im Meer. Ich war nicht sehr amüsiert.
»Also, Ralph. Wir wissen, wer ich bin. Wir wissen, wer Sie sind.« Stirnrunzelnd schaute ich von Palenik zu dem Gesicht vor seinem Fenster. »Wie wäre es denn mit einer Vorstellung?«
Die Männer wechselten einen dieser feixenden, testosteron-satten Blicke, dann richtete Detective Namenlos sich auf, kam um den Streifenwagen herum und öffnete mir die Tür.
»Ivar Lang.« Eine winzige Hand schoss in meine Richtung.
Vor Überraschung verplapperte ich mich. »Lang und Di-«
Die Hand wurde zurückgezogen. »Mein Partner kümmert sich gerade um einen häuslichen Streit.«
»Woher wussten Sie —«
»Detective Ryan dachte, Sie brauchen vielleicht trockene Kleidung.« Lang warf mir die Sporttasche auf den Schoß. »Sorry, keine Unterwäsche.«
Ich hätte dankbar sein sollen. Stattdessen war ich verärgert. Und verlegen.
Lang ging wieder zu Palenik. »Bekam einen Anruf von einem Kollegen, vom Morddezernat in Montreal. Er hängt an der Nordküste fest. Bat mich, die kleine Lady an einem Treffpunkt abzuliefern.«
Kleine Lady abliefern?
»Ihr Glückstag. Sie darf bei mir reinhüpfen.« Lang lächelte in meine Richtung.
Reinhüpfen? Nicht nur, dass Ryan mal wieder den weißen Ritter gespielt hatte, Lang behandelte mich auch noch wie ein Bullenklischee aus dem Fernsehen. In meinem Hirn legte sich der Wutschalter um.
Doch ich beherrschte mich. Es war nicht nötig, den kleinen Trottel zu verärgern.
»Ich bin durchaus in der Lage, mir ein Taxi zu rufen.«
»Und mit was zu bezahlen?«
»Ich bin mir sicher —«
»Sie sind mit diesem Formular fertig?«
Ich gab Palenik das Klemmbrett.
»Ryan sagt, Sie kommen mit mir.« Lang beugte sich ins Auto und starrte mich
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