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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Corbet.«
    Die alte Dame blickte sie aus hübschen, veilchenblauen Augen an, und Laura fasste Mut, als sie einen Anflug von Verständnis darin zu erkennen glaubte. Einen Funken Klarheit, mitten in der veilchenblauen Tiefe. Sie hatte absichtlich den Mädchennamen ihrer Mutter genannt, weil sie hoffte, dass Claire Bishop sich daran am ehesten erinnern konnte.
    »Ich habe Ihnen auch ein paar Fotos mitgebracht«, fuhr sie fort, indem sie die Aufnahmen aus der Tasche zog, die sie aus Mias Blechdose im Vorratsschrank genommen hatte.
    Claire Bishop reckte den Hals. »Wirklich?«, sagte sie. »Wie nett.«
    Laura schlug innerlich drei Kreuze und legte die Fotos dann kurzerhand auf das Bilderbuch, das die alte Dame noch immer auf den Knien hielt. »Das hier ist sie.« Die erste Aufnahme zeigte ihre Mutter und Cora Dubois als ungelenke Backfische, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Laura versprach sich gerade von diesem Bild den größten Erfolg, weil es aus der Zeit stammte, in der sich Claire Bishop am intensivsten um ihre Mutter gekümmert hatte. Außerdem hatte sie irgendwann mal gelesen, dass alte Menschen sich am besten an jene Dinge erinnerten, die zeitlich am längsten zurücklagen. »Sehen Sie, das ist meine Mutter.«
    Die Veilchenaugen hefteten sich zwar folgsam auf die abgegriffene Schwarzweißaufnahme, zeigten jedoch nicht die geringste Reaktion.
    »Ich habe unter den Sachen meiner Mutter ein paar Gedichtbände gefunden«, fuhr Laura in lockerem Plauderton fort. »Ich glaube, die von Verlaine mochte sie besonders.«
    Das Gesicht der alten Dame leuchtete auf. »Oh ja«, sagte sie. »Ja, sicher.«
    Laura fasste nach ihrer Hand. »Haben Sie meiner Mutter hin und wieder Bücher von sich geliehen?«, fragte sie. »Später, meine ich. Als sie bereits verheiratet war.«
    Doch Claire Bishops Miene hatte sich bereits wieder verfinstert. »Die Leute lesen heutzutage viel zu wenig Lyrik«, bemerkte sie, und es klang fast so, als mache sie ihrer Besucherin einen persönlichen Vorwurf aus dieser Tatsache. »Viel zu wenig.«
    »Das stimmt wohl«, entgegnete Laura zerstreut. »Aber Sie haben meiner Mutter doch ab und zu Gedichtbände geliehen, oder nicht?«
    Keine Reaktion. Die Begeisterung, die die Züge der alten Dame hatte aufleuchten lassen, war bereits wieder erloschen.
    Entmutigt legte Laura ein weiteres Foto neben das erste. Es war die Aufnahme, die Louisa Corbet gemeinsam mit ihren beiden Töchtern auf der Strandpromenade zeigte. Dann ein Schnappschuss von einer Geburtstagsfeier, verwackelt zwar, aber eine der wenigen Aufnahmen, auf denen ihre Mutter lachte. Jenes laute, von Herzen kommende Lachen, das Laura selbst jetzt noch hören konnte. Sie betrachtete Ginny Marquettes verständnisloses Gesicht und das nachsichtige Lächeln ihrer Patentante, die sich ein wenig unbeholfen an Ryans Stuhl festhielt. Die letzte Aufnahme, die sie mitgebracht hatte, war das Hochzeitsfoto,auf dem ihre Mutter so blass und unglücklich wirkte, und im selben Moment, in dem Laura das Bild zu den drei anderen legte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ihr Hochzeitskleid!, dachte sie, während ihr Herzschlag für einen Moment auszusetzen schien. Das zerschnittene Kleid aus meiner Plastiktüte war ihr Brautkleid!
    »Böse«, riss Claire Bishops Stimme sie aus ihren Gedanken.
    »Was?« Laura starrte noch immer auf das Foto, auf dem ihre Mutter ein Hochzeitskleid trug, in das irgendjemand eines schönen Tages große, hässliche Löcher geschnitten hatte.
    »Sie hatten längst zu«, plapperte die alte Dame vor sich hin. »Sie hat das gewusst. Das Fenster war zu. Und da war doch diese Treppe.« Ihre Veilchenaugen waren auf einen nahen Baumstamm gerichtet, und für einen flüchtigen Moment hatte Laura den Eindruck, als füllten sie sich mit Tränen. »Sie muss ihn überredet haben. Von allein wäre er nie auf eine so absurde Idee gekommen. Sie konnten ihm nicht mehr helfen.«
    Laura schüttelte den Kopf. Sie hatte das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Die Kontrolle. Den Überblick. Den Verstand. »Wovon sprechen Sie?«
    »Die Bücherei.« Claire Bishops Blick wurde plötzlich klar. »Sie hat es sehr raffiniert angestellt. Sie hat gesagt, es sei nur ein Spiel. Und er hat ihr geglaubt.« Ihr zarter Brustkorb hob sich unter einem tiefen Seufzer. »Er hat nie eine Chance gehabt.«
    »Wer?«, fragte Laura.
    Doch die alte Lehrerin beachtete sie gar nicht. »Es war eine mutwillige Täuschung«, fuhr sie mit der Entschlossenheiteines Menschen

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