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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Herrenhauses hinter ihr ins Schloss gefallen war, und sie hatte lange überlegt, ob sie an den Apparat gehen sollte. Ihre Schwester war nirgends zu sehen oder zu hören, und eigentlich war Laura der Meinung, dass Mias Telefon sie nichts anging. Trotzdem hatte sie den Anruf entgegengenommen.
    Aus dem Hörer an ihrem Ohr drangen tiefe, mühevolle Atemzüge. »Sie erinnern sich doch an mich?«
    »Doch, doch. Natürlich«, versicherte Laura eilig. »Wie geht es Ihnen?«
    »Ach Gott, fragen Sie bloß nicht«, antwortete sie, und das heisere Husten, das dieser Feststellung folgte, klang in der Tat alles andere als gesund. »Mit meiner Mutter wird es immer schlimmer, wissen Sie. Manchmal denke ich, dass ich mich besser nie drauf eingelassen hätte, wieder bei ihr einzuziehen.«
    Lauras Finger wischten über das Holz der Kommode, während sie sich insgeheim über die rasende Geschwindigkeit ärgerte, mit der sich Neuigkeiten auf dieser Insel ganzoffenbar verbreiteten. Sie dachte an ihre Frankfurter Wohnung, wo sich niemand darum scherte, wann sie kam und wohin sie ging, und empfand mit einem Mal brennendes Heimweh. Und wenn ich einfach Schluss mache?, überlegte sie. Wenn ich die Dinge auf sich beruhen lasse, mit der nächsten Maschine nach Hause fliege und einfach vergesse ...
    Das wird nicht funktionieren, und das weißt du. Jetzt nicht mehr. Es ist zu spät zum Umkehren.
    »Wirklich, ich habe das Gefühl, sie sieht in mir eine Art billige Sklavin«, drang derweil ihre Stimme aus dem Hörer. »Einerseits ist sie zu schwach, um sich mal selbst was zu kochen. Aber wehe, sie entdeckt ein Unkraut zwischen ihren Rosen!«
    Laura merkte, wie sie leise zu zittern begann, während die düstere Halle von allen Seiten auf sie zu gekrochen kam. Es ist, als ob irgendwer vor langer Zeit einen Bann über dieses Haus gesprochen hätte, fuhr es ihr durch den Sinn. Überall verändert sich die Welt, selbst hier, selbst auf diesem rückständigen Felshaufen mitten im Meer, der genauso ungeniert mit seinen Traditionen wirbt wie mit seinen Blumen und seiner Steuergesetzgebung. Nur dieses Haus ist, wie es schon immer gewesen ist, düster und gefährlich.
    Klar, bis auf den Herd ... Den Herd und die Meerschweinchen und das Blut an den Wänden ...
    »... aber dann vielleicht besser irgendwo auf neutralem Boden, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    Laura zuckte zusammen. »Was?«
    »Ich meine, ob es Ihnen was ausmacht, wenn wir uns zum Beispiel im Park treffen würden.« Ihre Gesprächspartnerin schien ein wenig unsicher zu werden. »Ich möchtemeine Mutter nicht stören. Und bevor sie nicht eingeschlafen ist, kann ich sowieso nicht aus dem Haus.«
    »Oh ja, natürlich, kein Problem.« Laura rieb sich die Stirn, hinter der schon wieder ein leiser Schwindel schwebte. Wenn sie ehrlich war, versprach sie sich nicht allzu viel von einem Treffen. Aber sie durfte nichts unversucht lassen. »Nennen Sie mir einfach eine Uhrzeit, die Ihnen passt.«
    Die Frau am anderen Ende der Leitung zögerte. Vielleicht, weil sie noch nicht darüber nachgedacht hatte. Oder weil sie ihren Anruf inzwischen bedauerte und erwog, einen Rückzieher zu machen. Oder beides. »Nun ja«, stotterte sie. »Wie wäre es mit ... Sagen wir halb elf?«
    »Sie meinen halb elf Uhr abends?«
    »Tut mir schrecklich leid ...« Sie war hörbar zerknirscht. »Aber viel früher werde ich es sicher nicht schaffen. Sie will immer noch einen Tee, und bis ihr Quiz ...«
    »Nein, nein, halb elf ist absolut okay«, beeilte sich Laura zu versichern. »Ich gehe sowieso selten vor Mitternacht zu Bett.« Ihr Lachen kam ihr selbst fremd vor. »Und jetzt im Sommer ...«
    »Dann also um halb elf im Churchill Park, ja? Ich warte in der Nähe des Denkmals auf Sie.«
    »Ja, gern«, sagte Laura, erleichtert, dass sie auf Anhieb wusste, wo das war. Bei all den Dingen, die sie verdrängt hatte, verstand sich dergleichen keineswegs von selbst.
    »Gut, dann also bis später«, entgegnete ihre Gesprächspartnerin, die ebenfalls erleichtert zu sein schien.
    »Ja, bis dann.«
    Nachdem sie aufgelegt hatte, ging Laura in den Salon hinüber und sah aus dem Fenster. Der Regen hatte eine Pause eingelegt, doch die – so viel stand fest – würde nichtlange Bestand haben. Laura beobachtete ein paar grauschwarze Wolkenfetzen, die der Wind vor sich hertrieb. Noch immer war sie nicht in der Lage, ihr Gespräch mit Claire Bishop irgendwie einzuordnen. Hatte es irgendein Ergebnis gebracht? Irgendeine neue Erkenntnis? Oder hatte

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