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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Fenster. Vielleicht waren ihm seine Pferde eingefallen. Insgeheim rechnete Leon damit, dass er jetzt aufstehen und hinausgehen würde, aber er blieb sitzen. »Ein Mord verändert den Menschen, der ihn begangen hat«, sagte er nach einer Weile, und noch immer wirkte er, als spräche er mit sich selbst. »Meistens jedenfalls. Vor allem, wenn es der erste Mord ist.«
    Leon versuchte, seinen Blick einzufangen. »Und hatte Mia Bradley sich verändert?«
    »Oh ja«, antwortete Archer. »Das hatte sie. Allerdings nicht in der Weise, die ich erwartet hatte.«
    »Sondern?«
    »Nachdem ich sie wiedergesehen hatte, konnte ich mir noch weniger vorstellen, dass sie es getan hat«, erklärte Archer. »Aber das ist natürlich nur ...« Er hielt inne und suchte kopfschüttelnd nach den richtigen Worten. »Es ist einfach ein Gefühl, verstehen Sie?«
    Leon nickte, und wieder dachte er, dass Lionel Archer ganz sicher nicht zu der Sorte Mann gehörte, die sich von Gefühlen leiten ließ. Trotzdem war der Kriminalbeamte mit den nüchternen Augen eines Tages nach Jersey gefahren, um Mia Bradley zu sehen. Was mochte er sich von der Begegnung mit seiner ehemaligen Hauptverdächtigen erhofft haben? Hatte er auf sie gewartet, vor dem Haus?Hatte er in der schmalen Gasse hinter dem Hotel gestanden, in der Sackgasse?
    »Und wenn sie tatsächlich unschuldig ist ...« Leon stellte diese Alternative so beiläufig wie möglich in den Raum.
    »Aber es kann niemand von außen gewesen sein«, beharrte Archer, und eine tiefe, traurige Überzeugung schwang in diesem einen Satz. »Der Mörder muss das Haus und das gesamte Umfeld außergewöhnlich gut gekannt haben.« Seine Augen bohrten sich in die Tischplatte. »Es muss jemand gewesen sein, der über sämtliche Abläufe genauestens informiert war.«
    »Also doch eines der Mädchen.«
    Archer nickte. »Ja«, sagte er resigniert. »Eines der Mädchen.«

7
    Etwa zur gleichen Zeit stand Laura mit einem Blumenstrauß vor einer rustikalen Haustür mit Glaseinsatz. Nach dem Essen mit ihrer Patentante war sie im Herrenhaus gewesen und hatte sich noch einmal das Buch vorgenommen, in dem der Zettel mit dem vermeintlichen Hilferuf ihrer Mutter gesteckt hatte. Eine Sammlung mit Gedichten von Paul Verlaine. Doch sie hatte keinen Hinweis auf den Besitzer gefunden. Es gab kein Exlibris und auch keine Notizen oder Randbemerkungen, die ihr weitergeholfen hätten. Also hatte sie ein Taxi genommen und war nach St. Helier gefahren, um sich im Sekretariat vonSt. Andrews nach der alten Lehrerin ihrer Mutter zu erkundigen. Sie hieß Claire Bishop, und nach einigem Hin und Her hatte die Sekretärin Laura schließlich auch die letzte bekannte Anschrift der Lehrerin auf einen kleinen gelben Haftzettel geschrieben, wobei sie gleich mehrfach darauf hingewiesen hatte, dass sie selbstverständlich nicht wisse, ob Miss Bishop noch dort wohne oder überhaupt noch am Leben sei. Und jetzt stand Laura also vor einer fremden Haustür und hatte keine Ahnung, wie sie beginnen sollte.
    Nachdem sie geklingelt hatte, entfernte sie das Papier, in dem die Blumen eingewickelt waren, wobei sie sich im Stillen ärgerte, nicht früher auf diese Idee gekommen zu sein. Blumen überreichte man ohne Papier, so was lernte man schon im Kindergarten!
    Als die Tür geöffnet wurde, war sie gerade dabei, das Papier mit der freien Hand zu einer kleinen Kugel zusammenzuknüllen.
    »Ja?« Die Frau im Türrahmen war klein und dick. Sie mochte etwa Mitte vierzig sein und trug das dichte schwarze Haar raspelkurz geschnitten, was ihr an und für sich sehr hübsches Gesicht betonte.
    Im Haus hinter ihr wurden Stimmen laut. Kinder, die stritten.
    »Verdammt noch mal, Tommy!«, schrie die Frau über ihre Schulter hinweg. »Lass endlich deinen Bruder in Frieden, sonst kannst du was erleben, wenn Dad nach Hause kommt!«
    Ob der wilde Tommy die Warnung seiner Mutter gehört hatte, blieb sein Geheimnis, falls ja, schien er ihr keine allzu große Bedeutung beizumessen, denn die Wehklagenseines Bruders setzten sich gleich darauf in ungebrochener Intensität fort.
    Die Frau im Türrahmen schenkte Laura ein etwas unbeholfenes Lächeln. »Mein Mann ist auf Montage und sie hören einfach nicht auf mich«, bekannte sie freimütig. »Ganz egal, was ich sage, sie machen, was sie wollen.« Sie seufzte. »Na ja, ist wohl das Alter.«
    »Ich wollte eigentlich zu Miss Bishop«, sagte Laura. »Claire Bishop. Das Sekretariat von St. Andrews hat mir diese Adresse gegeben.«
    »Meine

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