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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Tante ist krank.« Durch die Augen der Frau zuckte etwas wie Ablehnung. »Darf ich fragen, was Sie von ihr wünschen?«
    »Ich hätte mich gern kurz mit ihr unterhalten.« Laura fühlte sich zunehmend unwohl. Hätte ich nur vorher angerufen, dachte sie. Angerufen, die Blumen ausgepackt und erst dann den Mund aufgemacht. »Meine Mutter war eine Schülerin Ihrer Tante, Louisa Corbet. Und Ihre Tante hat sich, glaube ich, ganz besonders um sie gekümmert, weil sie keine Eltern mehr hatte.«
    Der Blick der Frau blieb an den Blumen hängen.
    »Meine Mutter ist gestorben, als ich noch ein Kind war, und ich weiß leider sehr wenig über sie. Und da dachte ich, dass Ihre Tante mir vielleicht ...«
    »Klar doch«, unterbrach die Frau, die jetzt unschlüssig wirkte. »Ich verstehe schon. Aber Tante Claire geht es wirklich nicht besonders. Ich glaube nicht, dass sie ...«
    »Ich bleibe nicht lange«, versicherte Laura eilig. »Es liegt mir nur unheimlich viel daran, mit jemandem zu sprechen, der meine Mutter besser gekannt hat.«
    »Sie verstehen mich nicht.« Claire Bishops Nichte verlagerteihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ich fürchte, meine Tante wird Ihnen nicht helfen können. Sie leidet unter einer fortgeschrittenen Altersdemenz und verbringt die meiste Zeit des Tages irgendwo in ihrer eigenen Welt.« Sie seufzte und wischte sich eine Gewitterfliege von der Stirn. »Wenn Sie ihr die Blumen allerdings trotzdem bringen möchten ...« Sie überlegte kurz und trat dann einen Schritt zur Seite. »Sie ist hinten im Garten.«
    Laura nickte nur. Jetzt bin ich mit meiner Weisheit schon wieder am Ende, dachte sie bitter, während sie sich durch eine lange Diele in einen verkramten Wintergarten führen ließ, dessen Tür offen stand.
    »Dort drüben«, sagte die Frau, indem sie auf eine Gruppe niedriger Bäume im hinteren Teil des Gartens deutete. »Das ist sie.«
    Laura bedankte sich, und Claire Bishops Nichte verschwand im Haus, wo sich der muntere Tommy noch immer mit seinem Bruder balgte.
    Als sie über den Rasen ging, musste Laura an einen Vers denken, der ihr ins Auge gefallen war, als sie den Verlaine-Band nach möglichen Notizen durchblättert hatte: Dans le vieux parc solitaire et glacé, deux spectres ont évoqué le passé – im alten Park, dem verlass'nen und kalten, beschworen das Gestern zwei Spukgestalten ...
    Zugleich hatte sie auf einmal das unbequeme Gefühl, mitten in einem Alptraum zu stecken. Die Sonne goss krankes Schwefellicht durch ein paar letzte Wolkenlücken, und die Luft war so dick, dass man den Eindruck hatte, sie in Stücke schneiden zu können. Laura blieb stehen und dachte an den Sturm, der ausgeblieben war, damals, in derMordnacht. Stattdessen war es drückend schwül gewesen. Schwül und vollkommen windstill. Sie wischte sich flüchtig über die Stirn und blinzelte hinauf zu den tiefschwarzen Regenwolken, die sich wie eine Reihe bizarrer Atompilze in den gelben Himmel türmten. Heute, so viel stand fest, würde das Unwetter stattfinden!
    Im Schatten der Bäume saß eine große, feingliedrige alte Dame. Sie hatte sich trotz der drückenden Schwüle eine Wolldecke um die Schultern gelegt und hielt ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien. Lauras Finger krampften sich um die Stiele der Blumen, als sie sah, dass es sich um ein Kinderbuch handelte. Ein Kinderbuch mit bunten Bildern.
    Dans le vieux parc solitaire et glacé, deux spectres ont évoqué le passé ...
    »Ich hätte gern eine Tasse heiße Schokolade«, sagte die alte Dame, die sie längst bemerkt hatte, mit einem leeren Lächeln auf den ausgedörrten Lippen. »Falls Sie wieder welche haben.«
    »Guten Tag, Miss Bishop.« Laura ging neben dem Stuhl der alten Frau in die Knie, wobei sie Mühe hatte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Kein Zweifel, ihr Kreislauf war noch immer angeschlagen. Sie atmete tief durch, um das Schwindelgefühl in ihrem Kopf zu vertreiben. »Sie kennen mich nicht, aber Sie haben meine Mutter gekannt.« Sie legte der Lehrerin eine Hand auf die Schulter, um sich ihre Aufmerksamkeit zu erhalten, denn Claire Bishops Blick wurde bereits wieder unscharf. »Sie ist eine Ihrer Schülerinnen gewesen.«
    »Oh ja.« Claire Bishop nickte. »Mit Honig und einer Prise Salz, bitte. Aber ohne diesen labbrigen Keks mit demLoch in der Mitte. Die Dinger schmecken wie Pappe. Und der Krieg ist doch rum, oder?«
    Lass es, dachte Laura. Es hat keinen Sinn! »Sie erinnern sich bestimmt an meine Mutter. Ihr Name war Louisa. Louisa

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