Blut Von Deinem Blute
was sie treibt.«
»Das beantwortet meine Frage nicht«, gab Leon zurück.
»Ja, verdammt«, stöhnte sie. »Ich hab sie mal erwischt. Da saß sie auf dem Boden vor dem Kühlschrank, in ihrem hässlichen champagnerfarbenen Spitzenneglige, in dem sie wie ein hautfarbener Pudding aussah, und stopfte sich rohe Kartoffeln in den Mund. Können Sie sich so was vorstellen? Rohe Kartoffeln!«
Leon schluckte und verdrängte den neuerlichen Gedanken an seine Schwester.
»Und die Kühlschranktür stand die ganze Zeit sperrangelweit offen«, fuhr Mia Bradley fort. »Ich sage Ihnen, wenn mein Vater das gesehen hätte, hätte er sie glatt umgebracht ... Oh ...« Sie schlug sich in gespieltem Entsetzeneine Hand vor den Mund. »Verzeihung. Damit wollte ich natürlich nicht sagen, dass Energieverschwendung ein mögliches Mordmotiv gewesen sein könnte.«
»Wusste Ihr Vater, dass seine Frau Probleme mit dem Essen hatte?«
»Gott bewahre!« Sie kicherte. »Ich meine, sie war natürlich fett, klar. Aber sie erzählte ihm irgendwas von Stoffwechselstörungen und Schilddrüse.«
Leons Finger spielten mit der Kordel der Skizzenmappe. Jacqueline Bresson hatte sich am Kühlschrank des Herrenhauses bedient. In einem Haushalt, in dem bis zum Geht-nicht-mehr gespart worden war. Wie mochte sie ihre Ausrutscher vertuscht haben? Womit hatte sie eingekauft, um die fehlenden Vorräte zu ersetzen? Er dachte an das Geld, das sich zur Tatzeit in Nicholas Bradleys Schreibtisch befunden hatte. Konnte es überhaupt sein, dass der Hotelier nichts von den Problemen seiner Frau mitbekommen hatte? Oder hatte er es gewusst? Hatten sie alle es gewusst?
»Und Ihr Vater hat an das Märchen von der Schilddrüse geglaubt?«
»Klar.« Mia Bradley griff wieder nach ihren Zigaretten. »Wahrscheinlich war er heilfroh, dass sie nicht zu einem Arzt ging und Kosten verursachte.«
Aber mit dir ist er bei einem Psychologen gewesen, dachte Leon, und er spielte ernsthaft mit dem Gedanken, sie danach zu fragen. Andererseits schien ihm die Gefahr, sie aufzubringen, zu groß.
»Was war eigentlich mit diesem Beil?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen.
»Es war nicht da.«
»Das habe ich gehört«, entgegnete er. »Allerdings sind Sie meines Wissens nach die Einzige, die das behauptet.«
»Ich weiß.« Sie zündete sich eine weitere Zigarette an. »Trotzdem ist es die Wahrheit.«
Und was ist die Wahrheit?
»Glauben Sie, jemand hat das Beil fortgenommen, um Ihnen eine Falle zu stellen?«
Ihr Blick fuhr hoch und krallte sich in einem Gesicht fest. Eindringlich, fast anzüglich. »Was glauben Si'e?«
»Zum Beispiel glaube ich, dass Sie eine ausgezeichnete Lügnerin sind«, versetzte Leon, um zu sehen, wie sie reagierte.
Doch Mia Bradleys Miene blieb vollkommen unbewegt.
»Allerdings sehe ich nicht ein, warum Sie ausgerechnet in diesem Punkt gelogen haben sollten«, setzte er nach einem kurzen Moment des Schweigens hinzu.
»Wieso nicht?«
»Weil es Ihnen nichts genützt hat.«
Sie verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Glauben Sie allen Ernstes, die Menschen lügen nur, wenn es ihnen nützt?«
»Ihnen selbst oder jemand anderem«, erwiderte Leon. »Meiner Erfahrung nach sind Lügen viel zu anstrengend, um sie so einfach zu vergeuden.«
»Glauben Sie mir, dass ich meinen Vater nicht getötet habe?«
Leon registrierte sehr wohl, dass ihre Formulierung Jacqueline Bresson aussparte. Genau wie bei ihrer Begegnung am Strand. Ich habe meinen Vater nicht umgebracht . .. Er sah sie an. »Was ich glaube, ist irrelevant.«
Sie schnaubte verächtlich und wandte sich ab.
Kein Zweifel, das Gespräch war beendet. Trotzdem zog Leon sein Handy aus der Tasche und rief die Bilder seiner Schwester auf, die er sich noch gestern Abend heruntergeladen hatte. »Ich bin sofort weg«, sagte er, »aber vorher würde ich Ihnen gern noch kurz etwas zeigen ...«
Mia Bradleys Rücken ruckte hin und her, während ihre Hände den Ton bearbeiteten. Falls sie neugierig war, verstand sie es ausgezeichnet, ihn nichts davon merken zu lassen.
»Es geht um meine Schwester.« Jetzt hielt sie plötzlich doch inne.
»Tonia lebt seit einiger Zeit in einer Klinik und hat dort angefangen zu malen ...« Leon ließ den Satz offen und versuchte sich zu wappnen. Dagegen, dass sie ihn auslachen und anschließend achtkantig aus ihrem Atelier werfen würde.
Doch Mia Bradley tat nichts dergleichen. Sie stand einfach da und wartete ab.
»Wie Sie hinlänglich wissen, verstehe ich nicht viel von
Weitere Kostenlose Bücher