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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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dauernd Streit.«
    »Auch unmittelbar vor dem Mord?«
    »Möglich.«
    »Worum ist es bei diesem Streit gegangen?«
    Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Woher soll ich das wissen? Mein Vater war der größte Sturkopf, den die Welt je gesehen hat. Wir haben über alles Mögliche gestritten.«
    »Haben Sie damit gedroht, die Insel zu verlassen?«
    Mia Bradley lachte laut auf. »Was?! Wozu das denn?«
    »Um Malerei zu studieren.«
    »Hören Sie«, sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, sodass etwas feuchter Ton direkt unter dem blonden Haaransatz kleben blieb, »ich habe bestimmt nie Interesse daran gehabt, meine Zeit auf irgend so einer bekackten Uni in den überfüllten Seminaren irgendeines fettärschigen Möchtegernkünstlers zu vergeuden. Und ...«
    »Das heißt im Klartext, dass Sie gar nicht Kunst studieren wollten?«, fiel Leon ihr ins Wort, weil ihm dieser Punkt mit einem Mal ungeheuer wichtig schien.
    Mia Bradley verzog das Gesicht. »Kunst studiert man nicht«, erwiderte sie. »Kunst macht man einfach.«
    Leon sah zu ihrer Staffelei hinüber. Er verstand weniger als nichts von Kunst, aber irgendwie leuchtete ihm diese Antwort ein. »Und worüber haben Sie sich dann so heftig mit Ihrem Vater gestritten, dass gleich drei Zeugen Teile dieser Auseinandersetzung mitbekommen haben, obwohl sie sich draußen im Hof aufhielten?«, insistierte er.
    Mia Bradley sah verwundert aus, auch wenn sie ihre Arbeit nicht für den Bruchteil einer Sekunde unterbrach. »Keine Ahnung.«
    Leon beobachtete, wie sich der Ton unter ihren Händen verformte. Warum gab sie sich so wenig Mühe, ihre eigene Rolle in dieser ganzen Geschichte zu erhellen? Schon möglich. Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung. Was war das? Trotz? Leons Augen blieben wieder an ihrem Rücken hängen. Trotz, dachte er, oder eine besonders subtile Form von Raffinesse ...
    »Warum haben Sie am Tatort aufgewischt?«
    Sie begann zu kichern. »Reinlichkeit ist eine gute Sache, sagte die alte Meerhexe«, zitierte sie anstelle einer Antwort wieder Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau. »Und sie scheuerte und scheuerte, und wenn sie nicht ermordet wurde, scheuert sie noch heute.«
    Seltsamerweise hatte Leon trotz allem das Gefühl, dass Mia Bradley reden wollte. Er dachte an Dr. Merrywater, den raffinierten alten Fuchs, der dafür gesorgt hatte, dass seiner achtzehnjährigen Mandantin keine einzige falsche Frage gestellt worden war. Hierzu wird sich Miss Bradley nicht äußern. Nicht hier und nicht jetzt. Wie Sie hinlänglich wissen, ist ihre Gesundheit durch diese tragischen Ereignisse erheblich in Mitleidenschaft gezogen, und sie braucht dringend Ruhe. Wenn Sie also nichts anderes gegen sie in der Hand haben, dürfen wir uns jetzt verabschieden ... Sie haben sie zum Schweigen gebracht, dachte Leon, und die Ermittlungen der Polizei sind im Sande verlaufen. Buchstäblich ... »Mochten Sie Ihren Vater?«
    Sie schien überrascht zu sein. »Wieso fragen Sie das?«
    »Immerhin widmen Sie ihm die Hälfte Ihres Pseudonyms.«
    »Er ist schwierig gewesen.« Mia Bradley blickte nicht auf bei diesen Worten, dennoch hatte Leon selten ein klareres »Ja« gehört.
    »Waren Sie traurig über seinen Tod?«
    »Waren Sie traurig über den Tod Ihres Vaters?«
    Jetzt ging sie zum Angriff über, ganz klar. Etwas, das Leon ihr angesichts der Situation ohne weiteres zugestand. Er überlegte kurz. Dann sagte er: »Ja, ich denke schon.«
    »Worüber am meisten?«
    »Dass wir einander so schlecht verstanden haben.«
    In Mia Bradleys Augen glomm ein neues Interesse auf. An ihrem Besucher. An diesem Gespräch. An allem.
    Leon blickte an ihr vorbei zu der sitzenden alten Frau auf ihrer Arbeitsplatte. »Mein Vater ist mit vielem grundlegend anders umgegangen als ich.«
    »Und anders heißt für Sie automatisch falsch?«
    »Ziemlich selbstgerecht, was?«, fragte er mit einem leisen Lächeln.
    Mia Bradleys Augen bohrten sich in sein Gesicht. »Okay, Sie sind also der Meinung, dass Ihr Vater erhebliche Defizite hatte. Als Mensch, meine ich.«
    »Er hat in einer Phantasiewelt gelebt.« Leon merkte, wie Wut in ihm aufkeimte, ohne dass er sagen konnte, worauf genau er wütend war. »In einem hohen, elfenbeinernen Turm, fern jeder Realität.«
    »Er war ein Künstler«, versetzte Mia Bradley. Eine schlichte, vollkommen wertfreie Feststellung.
    »Stimmt«, sagte er. »Wenn man so will, waren bei meinem Vater einfach die Relationen verschoben. Er hat dort

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