Blut Von Deinem Blute
unschuldig war. Und nun stellte sich heraus, dasses sich bei der Psychopathin, mit der sie aufgewachsen war, nur um ihre Halbschwester handelte. Genetisch gesehen war das zweifellos eine Erleichterung, ganz zu schweigen von dem Argument, das sie sich in Zukunft vor Augen führen konnte, wenn sie sich wieder einmal vorwarf, nicht genügend um ihren Vater getrauert zu haben: Ich hatte eben nie eine besonders tiefe Bindung zu ihm. Schließlich ist er nicht mein leiblicher Vater gewesen. Blieben nur die tote Conchita und die Tatsache, dass die Polizei ihr nicht glauben würde ...
»Ich rufe nur rasch an und sage ab«, erklärte ihre Patentante mit einem Blick auf ihre Armbanduhr.
»Was?«, stammelte Laura verwirrt.
»Das Meeting. Sonst wundern sich die anderen, dass keiner von uns beiden aufläuft.«
Laura atmete tief durch. »Aber ich habe dir doch schon gesagt, dass du ruhig hingehen kannst.«
»Oh nein, ich lasse dich auf keinen Fall allein«, beharrte ihre Patentante. »Nicht mit diesem Wissen ...«
»Wirklich, es macht mir nichts aus«, versicherte ihr Laura noch einmal. »Ich ruhe mich ein bisschen aus, und wir reden, wenn du wieder zurück bist, okay? Aber du musst hingehen.« Sie rang sich ein dünnes Lachen ab. »Irgendwer muss doch schließlich dafür sorgen, dass meine Schwester niemanden vergiftet.«
Ihre Patentante lachte nicht mit ihr. Im Gegenteil. Sie wirkte ausgesprochen ernst. »Ich weiß nicht ...«
»Doch, doch.« Laura stupste sie sanft am Arm. »Mach, dass du wegkommst.«
»Na schön.« Cora wandte sich mit sichtlichem Widerwillen ab. »Dann ziehe ich mich noch rasch um.«
»Okay.« Laura kuschelte sich tiefer in den Sessel und nahm sich noch einmal das Foto ihrer Mutter vor. Wie glücklich sie aussah! Sie hielt das Bild neben die Fotografie von George Berrings und stellte sich vor, wie die beiden sich heimlich in den Dünen getroffen hatten. Sie hatten gut zueinander gepasst, das konnte man sogar aus den Bildern ersehen. Neugierig griff Laura in den Fotokarton, der neben ihrem Sessel auf dem Fußboden stand, und nahm einen weiteren Stapel Aufnahmen heraus. Darunter war auch das Hochzeitsfoto, das sie so gut kannte.
»War mein Vater eigentlich schon tot, als Mama Nicholas Bradley geheiratet hat?«, rief sie über ihre Schulter hinweg in die Stille des Hauses.
Cora Dubois erschien im Türrahmen und nickte. Sie trug jetzt eine elegante schwarze Hose zu ihrem burgunderroten Pullover und hatte eine Regenjacke über dem Arm. »Er verunglückte knapp zwei Monate nach ihrer erzwungenen Trennung.«
»Du meinst, er nahm sich das Leben«, korrigierte Laura, während sich das Kältegefühl in ihrem Inneren verstärkte.
Ihre Patentante verharrte ratlos auf der Schwelle. »Und du bist sicher, dass du ...«
»Verschwinde endlich!«, rief Laura. »Und trink keinen Saft.«
»Wieso?«
»Ach, vergiss es.«
Cora hob grüßend die Hand. »Also, dann bis später.«
Laura winkte zurück. Gleich darauf hörte sie, wie die Haustür ins Schloss fiel. Zurück blieben ein leeres Haus und das Knistern des Feuers, das fast heruntergebrannt war.
Laura überlegte, ob sie aufstehen und Holz nachlegen sollte, aber sie konnte sich einfach nicht überwinden, die Wärme des Sessels zu verlassen. Stattdessen nahm sie sich noch einmal den Fotokarton vor.
2
Sie saßen in einem überfüllten Pub und redeten. Das heißt: Leon redete, und Kevin hörte zu. Dabei aß er. Fish and Chips mit reichlich Mayo und Essigsoße.
»Du hast wenig Chancen, wenn sie das durchzieht«, sagte er, als Leon zu Ende war. »Das weißt du.«
»Ja«, sagte Leon. »Das weiß ich.«
Kevins Gabel schob ein paar Pommes frites auf seinem Teller hin und her. »Vielleicht ist es das Beste so.« Leon sah hoch.
»Versteh mich nicht falsch, aber ...« Er zögerte. »Laura ist nicht gerade das, was ich mir unter einer idealen Mutter vorstelle.«
»Es ist auch mein Kind«, wiederholte Leon seinen hilflosen Einwand von vorhin.
»Rechtlich hast du da keine Handhabe.«
»Sag mir das noch öfter.«
Kevin straffte sich. »Es bringt nichts, wenn ich dir irgendwas vormache, oder?«
»Entschuldige.«
»Ich verstehe, wie du dich fühlst, aber du kannst Laura nun mal nicht zwingen, das Kind auszutragen.« Er nippte an dem Milchkaffee, den er sich zu seinen Fritten bestellthatte. »Und wenn du mich fragst, wäre das auch nicht wünschenswert.«
»Du meinst ...?«
»Ich rede von den Schwierigkeiten, in denen sie steckt«, fiel Kevin ihm ins Wort. »Nach
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