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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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einer seltenen Form von Knochenschwund erkrankt, und seit sie denken konnte, hatte er entweder in einer Klinik oder zu Hause im Bett gelegen, während ihre Mutter damit beschäftigt war, die fünfköpfige Familie irgendwie über die Runden zu bringen. Zu einer Zeit, in der andere Kinder schwimmen gingen oder auf irgendwelchen Sportplätzen herumtobten, hatte Ginny gelernt zu kochen, den Haushalt zu schmeißen und nebenbei Katheter zu wechseln. Sie hatte funktioniert wie ein Uhrwerk, während ihre Brüder, Adam und Bill, die hohe Kunst des Sich-unauffällig-aus-der-Verantwortung-Ziehens bis zur Perfektion getrieben hatten.
    »Guten Morgen, M'am«, riss die Stimme der Marktfrau, die die Bedienung ihrer vorherigen Kundin soeben beendet hatte, sie aus ihren Grübeleien. »Was darf's sein für Sie?«
    Ginny orderte zehn Seebarschfilets und wollte sicheben noch zwei Tüten frische Jakobsmuscheln auswiegen lassen, als sie den Vibrationsalarm ihres Handys am Körper spürte.
    »Hi, Gin«, lärmte die Stimme ihres jüngeren Bruders aus dem Gerät, kaum dass sie auf die Taste mit dem grünen Hörer gedrückt hatte. »Wie geht's?«
    Das ist eine verdammt gute Frage, dachte Ginny. Laut sagte sie: »Danke, ich kann nicht klagen«, auch wenn ihr vollkommen bewusst war, dass ihr Bruder nicht anrief, um Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Im Grunde ließ er überhaupt nur von sich hören, wenn er ihre Hilfe brauchte, und auch dieses Mal konnte sich Ginny bereits denken, worauf die Sache hinauslief. Aber sie würde ihm nicht entgegenkommen. Wenigstens das nicht. Wenn er sie schon ausnutzte, sollte er gefälligst selbst darauf zu sprechen kommen! »Und wie läuft's bei dir?«, erkundigte sie sich betont munter.
    »Bestens«, antwortete ihr Bruder mit kaum kaschierter Ungeduld in der samtweichen Stimme. Er hatte als Schuljunge eine Zeit lang im Kirchenchor gesungen, und alle Welt hatte verzückt erklärt, wenn er so weitermache, lande er geradewegs auf der Bühne von Covent Garden. »Alles wie gehabt.«
    Na, komm schon, Billy, dachte Ginny, gib dir wenigstens einen Hauch von Mühe! »Was macht der Job?«
    Tatsächlich war ihr Bruder nicht Opernsänger geworden, sondern arbeitete nach einer verlängerten Militärzeit und verschiedensten Gelegenheitsjobs als Immobilienmakler in London, eine Arbeit, die ihm – nach allem, was man so hörte – ein recht ansehnliches Einkommen eintrug. »Mal auf, mal ab«, entgegnete er. »Neuerdings leider weitausöfter ab als auf. Du weißt ja, die Zeiten sind schlecht, und ich fürchte, das bekommen wir gerade in unserer Branche immer schmerzlicher zu spüren.«
    Nicht nur ihr, dachte Ginny, indem sie die Preisschilder überflog, die an den Rändern der Auslagen klebten. »Und privat?« Heute war sie finster entschlossen, ihn zu quälen. Außerdem interessierte sie die Antwort auf diese Frage wirklich. Billy war schon mit siebzehn der Luftikus der Familie gewesen, und seine längste Beziehung hatte gerade mal ein halbes Jahr gehalten. Mittlerweile war er fünfundvierzig und noch immer nicht wesentlich ruhiger geworden. »Hast du wieder jemanden?«
    »Ab und zu.« Sie sah sein breites, durchaus anziehendes Grinsen direkt vor sich. »Aber was ich dich eigentlich fragen wollte ...«
    Am Freitag ist doch Mums Geburtstag, ahmte Ginny in Gedanken seine Stimme nach, und da dachte ich ...
    »Du weißt doch, dass Mum am Freitag Geburtstag hat«, drang im selben Augenblick das Original aus dem Hörer.
    »Klar.« Als die Marktfrau mit fragender Miene eine weitere Schaufel Muscheln über ihre Tüte hielt, schüttelte Ginny den Kopf und signalisierte, dass sie keine Wünsche mehr habe. »Schaffst du es dieses Mal vorbeizukommen?«
    »Ich würde ja gern«, log ihr Bruder mit unverfrorener Selbstverständlichkeit. »Aber ausgerechnet am Freitag habe ich einen irrsinnig wichtigen Termin hier in London. Es geht da um richtig viel Geld, weißt du, und ...«
    »Wie wär's, wenn du dann wenigstens übers Wochenende kommst«, unterbrach ihn Ginny, indem sie die Tüte mit ihren Einkäufen entgegennahm und dann rasch ein Stück beiseitetrat. »Dann könnten wir ...«
    »Daran hab ich auch schon gedacht«, erklärte ihr Bruder. »Aber das wird leider nicht funktionieren.«
    »Und wieso nicht?«, versetzte Ginny gereizt. »Spielt Arsenal mal wieder um irgend so eine blöde Meisterschaft? Oder öffnet dein Stammlokal nicht ohne dich?«
    »Hey, was ist los mit dir?«, fragte Bill. Dass seine Schwester nicht die gewohnte

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