Blut Von Deinem Blute
angelehnt, und vor Schreck über das, was ich sehe, weiche ich bis an die gegenüberliegende Wand der Diele zurück: Meine Mutter liegt mit nackten, angewinkelten Beinen auf dem Küchentisch, fast wie bei einer Geburt. Sie hat einen weißen Kittel an, der hinten offen ist, und überall ist Blut. Die Wände sind voller Blut, es tropft von den Schränken und sammelt sich in großen Lachen auf dem Fußboden. Nur der Kittel meiner Mutter ist blütenweiß, ohne einen einzigen Spritzer. Sie scheint mich nicht zu bemerken, zumindest sieht sie nicht her, sondern schaut nach oben, an die Decke, an der seltsame weiße Pilze wachsen und auch noch andere Gebilde, die ich nicht genau erkennen kann.
Neben dem Herd sitzt Madame Bresson. Sie hat Nellies grünes Brokatkleid an und sieht auch selbst aus wie eine Puppe, die irgendwer achtlos in die Ecke geschleudert und dort vergessen hat. Aus ihrem Mund tropft zähes, dunkelbraunes Blut, und ich mache ein paar Schritte auf sie zu, weil ich das Gefühl habe, dass sie Hilfe braucht. Dabei muss ich höllisch aufpassen, dass ich nicht ausrutsche, weil der Boden so glitschig ist vor lauter Blut.
Meine Mutter lächelt, und urplötzlich habe ich ein Messer in der Hand. Ich will es fallen lassen, aber es ist zu klebrig, sodass ich es nicht loswerde, obwohl ich meine Hand wie wild hin und her schüttele. Und dann steht auf einmal Mia in der Tür, und ihre Augen sind vor Entsetzten weit aufgerissen. Sie schaut mich an und sagt etwas, das ich nicht verstehe. Es klingt rau und kehlig, so als ob sie eine fremde Sprache spräche. Als ich ihr keine Antwort gebe, zieht sie einen Pinsel aus der Tasche ihres Morgenmantels und taucht ihn in Madame Bressons Blut. Erst jetzt sehe ich die Leinwand, die neben der Spüle an der Wand lehnt. Mia kniet sich direkt davor auf den Boden und fängt an zu malen. Dabei flucht sie unablässig, weil Madame Bressons Blut immer gleich eintrocknet und den Schwung ihrer Linien unterbricht.
Während ich meiner Schwester beim Malen zusehe, bemerke ich eine weitere Person in der Küche, die halb verdeckt im Schatten der Tür steht, sodass ich nicht erkennen kann, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Überhaupt nehme ich die Gestalt nur sehr vage wahr.
Trotzdem macht sie mir Angst.
Und plötzlich wird mir auch klar, warum: Sie hat keinen Kopf.
Überrascht von dieser Erkenntnis, will ich mir die Gestalt genauer ansehen, doch in diesem Moment wird die Küchentür aufgestoßen, sodass der unheimliche Schatten dahinter verschwindet, und vor mir steht mein Vater. Er hat den Matrosenpullover an, den meine unbekannte Großtante für mich gestrickt hat, und ist ganz zerzaust vom Wind. Seine nassen Haare kleben ihm in schweren Strähnen an der Stirn, und er sieht sehr entschlossen aus. Ich weiß nicht, ob er das viele Blut in seiner Küche überhaupt bemerkt, falls ja, kümmert er sich jedenfalls nicht weiter darum. Stattdessen geht er hinüber zu Mia, die noch immer vor ihrer Leinwand kniet und wie eine Besessene malt. Er nimmt ihr den Pinsel aus der Hand und legt ihr dann ganz vorsichtig und behutsam eine Decke um, wie man es bei einem Rennpferd tut.
Dann führt er sie aus der Küche, durch den langen, dunklen Flur zur Treppe.
Ich rufe ihnen nach, aber sie drehen sich nicht um, sondern gehen einfach weiter, und Mia zittert unter ihrer Decke wie Espenlaub.
Dann steigen sie Seite an Seite die Treppe hinauf. Ich will ihnen folgen, aber genau an dieser Stelle erwache ich ...
Mittwoch, 21. August
1
Als Laura am nächsten Morgen die Treppe hinunterkam, hatte sie kaum geschlafen. Sie hatte bei ihrer Schwester geklopft, aber keine Antwort erhalten, woraufhin sie auf die Klinke gedrückt und festgestellt hatte, dass die Tür nach wie vor verschlossen war. Also hatte sie entschieden, nach unten zu gehen.
Die Uhr in der Eingangshalle zeigte wenige Minuten nach halb acht, und Laura lauschte, ob sie ihre Schwester irgendwo im Haus hörte. Doch Mia schien tatsächlich nicht da zu sein. Vielleicht war sie ausgegangen. Einkaufen. Oder sie war drüben, in ihrem tollen Atelier, und beschmierte ein paar Leinwände ...
Früher hast du dich nie dafür interessiert.
Laura schüttelte unwillig den Kopf und überlegte, ob sie ins Hotel hinüber gehen und dort frühstücken sollte. Die Vorstellung, dieses leere, düstere Haus zu verlassen, um inmitten von fremden Menschen eine Tasse Kaffee und frisches Brot mit Butter und Orangenmarmelade zu genießen, hatte
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