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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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sitzen und mit Genuss ein Brötchen essen konnte, und sie wertete diesen Umstand als gutes Zeichen. Vielleicht wurden auch die schlimmsten Schrecken eines Tages blasser. Vielleicht verlor im Lauf der Zeit ja tatsächlich alles an Kraft, selbst das Unglück. Vielleicht ... Ihre Augen blieben an der Arbeitsplatte neben dem Herd hängen, und im selben Augenblick fiel ihr auf, dass dort etwas fehlte. Etwas, das auf dieser Arbeitsplatte gestanden hatte, seit sie denken konnte.
    Sie erhob sich und ging langsam darauf zu.
    Hinter der graugelb verfärbten Scheibengardine lag der Hof bereits halb im Schatten. Selbst im Hochsommer gab es nur eine kurze Frist, in der die Sonne diesen Teil des Herrenhauses ereichte, und diese Frist war nun fast abgelaufen. Doch Laura sah nicht in den heranwachsenden Vormittag hinaus. Sie starrte wie gebannt auf das rissige Holz, auf dem Madame Bressons kurze Finger früher händeweise Semmelbrösel unter das wenige Hackfleisch geknetet hatten, das ihr Budget ihr gestattete. Fast täglich hatte sich ihr runder Rücken über die Arbeitsplatte gewölbt, bemüht, aus irgendwelchen kärglichen Resten halbwegsschmackhafte Mahlzeiten zuzubereiten. Sie hatte Kartoffeln geschält und Zwiebeln gehackt, mit demselben Messer, mit dem ihr am neunundzwanzigsten August vor fünfzehn Jahren die Kehle durchgeschnitten worden war. Mit jenem Messer, das die Polizei nie gefunden hatte. Das fehlende Messer, dachte Laura. Warum habe ich bis heute nicht mehr an das fehlende Messer gedacht?!
    Sie zuckte zusammen, als das halbe Brötchen, das sie in der Hand gehalten hatte, neben ihr zu Boden fiel. Ihre Großmutter hatte den Messerblock, aus dem das bewusste Messer stammte, vor mehr als einem halben Jahrhundert zur Hochzeit bekommen, zu einer Zeit, in der Hochzeitsgeschenke noch einen praktischen Nutzen gehabt hatten. Kein Geld, kein Schnickschnack, sondern Messer für die Ewigkeit, Eichenholz und Kruppstahl. Laura schloss die Augen. Wirklich seltsam, dass sie so lange nicht mehr an das fehlende Messer gedacht hatte! Der Mörder hatte mit einem Küchenbeil auf ihren Vater und Madame Bresson eingeschlagen. Über dieses Beil war viel gesprochen und spekuliert worden, die Zeitungen hatten darüber berichtet, und das Beil hatte sich ihr eingeprägt. Aber jetzt erinnerte sie sich daran, dass Madame Bresson mit einem Messer getötet worden war, einem Messer aus dem Messerblock ihrer Großmutter. Der Block hatte dort auf der Arbeitsplatte gestanden, und der Mörder hatte eine der Klingen herausgezogen und Madame Bresson damit die Kehle durchgeschnitten. Und dann hatte er – oder sie – das Messer mitgenommen ...
    Jetzt allerdings fehlte der ganze Block, und Laura überlegte, ob diese Tatsache etwas zu bedeuten hatte. Es war natürlich denkbar, dass Mia ihn in einen der Schränkegestellt hatte. Vielleicht hatte sie seinen Anblick nicht mehr ertragen. Oder die Polizei hatte den Messerblock mitgenommen und vergessen, ihn zurückzugeben. Sie schüttelte ratlos den Kopf und beschloss, ihre Schwester bei nächster Gelegenheit danach zu fragen. Dann bückte sie sich nach ihrem Brötchen und warf es in den Mülleimer, der offen stand und so voll war, dass links und rechts davon Abfallreste auf den Boden gefallen waren. In den süßlich warmen Geruch verfaulender Lebensmittel mischte sich das Aroma von Kirschwasser.
    Mia musste die ganze Torte noch gestern Abend in den Müll geworfen haben. Aus Wut. Oder Enttäuschung. Oder warum auch immer.
    Aber wo mochte sie stecken?
    Ob sie vielleicht doch noch schlief?
    Unschlüssig verließ Laura die Küche. Im Erdgeschoss gab es außer dem Salon und der Küche noch ein weiteres Zimmer, das in früheren Zeiten der Unterbringung von Hausangestellten gedient hatte. Es ging nach vorn hinaus und verfügte – genau wie Lauras Schlafzimmer – über ein eigenes kleines Bad. Daran schloss sich eine Gästetoilette an, die man ausschließlich von der Diele aus begehen konnte. Laura öffnete die Tür und fand den Raum in einem überraschend guten Zustand. Offenbar wurde hier regelmäßig geputzt. Armaturen und Kacheln waren glänzend sauber, und durch das gekippte Fenster wehte würzige Seeluft hinein. Sie warf einen flüchtigen Blick in den Schrank unter dem Waschbecken, in dem sich jedoch nur verschiedene Putzmittel und ein paar alte Lappen befanden. Als Nächstes nahm sie sich das ehemalige Gesindezimmer vor. Sie klopfte zweimal kurz und kräftig, bevor sie auf dieKlinke drückte. Doch zu ihrer

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