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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Enttäuschung war der Raum abgeschlossen.
    Also beschloss sie, es eine Etage höher zu versuchen. Doch auch dort fand sie keine einzige Tür, die sich öffnen ließ. Warum schließt Mia alles ab?, dachte sie mit wachsendem Unbehagen. Jedes verdammte Zimmer in diesem Haus ist abgeschlossen!
    Die alten Dielen knackten unter ihren Sohlen, als sie über den Treppenabsatz zum Badezimmer ihrer Eltern hinüberging. Sie rechnete fest damit, dass ihr auch hier ein Schloss den Zutritt verwehren würde, doch sie hatte sich getäuscht: Die Tür ging auf. Ein muffiger Gestank schlug ihr entgegen, der entfernt an den Geruch von nassem Fell oder nasser Wolle erinnerte. Und überall an der Decke und in den Ecken schwebten Spinnweben. Laura betrachtete die alte Badewanne, deren Benutzung ihr Vater so selten gestattet hatte. Dunkle Ränder längst abgelaufenen Wassers zogen sich um die weiße Emaille wie die Jahresringe eines Baums. Nur unterhalb des Wasserhahns waren die Linien unterbrochen. Vielleicht, weil dort von Zeit zu Zeit ein Tropfen herabfiel. In der stark verschmutzten Toilette stand stinkendes braunes Wasser. Es gab keine Schränke und auch sonst keine Möbel, in denen man etwas hätte aufbewahren können, und Laura erinnerte sich mit einem Mal daran, dass Madame Bresson einen alten Teewagen benutzt hatte, um ihre spärlichen Kosmetika aufzubewahren. Doch den schien es nicht mehr zu geben. Zumindest nicht in diesem Raum.
    Laura kehrte ins Erdgeschoss zurück und begann, systematisch die Küchenschränke zu durchsuchen, nicht, weil sie sich wirklich etwas von dieser Aktion versprach, sondernweil sie nicht wusste, was sie stattdessen tun sollte. Mia hatte sie ausgesperrt, und sie konnte nichts dagegen tun. Zumindest nicht, bis ihre Schwester zurückkehrte, wohin auch immer sie gegangen sein mochte. Während sie Gläser mit eingelegtem Gemüse und Obst hin und her schob und Vorratsdosen öffnete, fiel ihr ein, dass es unter der Treppe noch einen separaten Vorratsschrank gab, der früher meist leer gestanden hatte, was kein Wunder war. Schließlich hatte ihr Vater im Keller zwei eigene Räume für seine Weltuntergangsrationen eingerichtet. Aber es gab diesen Schrank, und Laura erinnerte sich jetzt auch daran, dass Mia sich bei Streitigkeiten manchmal dort versteckt hatte.
    Sie ging in die Diele und kniete sich auf den staubigen Boden. Dann öffnete sie die beiden Türen. Links befand sich ein geräumiger Regalteil mit tiefen, stabilen Brettern, während die rechte Hälfte des Schranks nicht noch einmal unterteilt war und Platz für sperrige Gegenstände wie Koffer oder Gästebetten bot. Dort stapelten sich jetzt große braune Pappkartons, fünf übereinander und daneben noch einmal drei. Sie waren nicht beschriftet, und Laura vermutete zuerst, dass sie leer seien, bis sie den obersten Karton zu bewegen versuchte und feststellte, dass er ein beträchtliches Gewicht hatte. Überrascht zog sie ihn heraus und stellte ihn vor sich auf den Fußboden, wobei sie ängstlich lauschte, ob sie tatsächlich noch immer allein war. Auch gestern, bei ihrer Ankunft, hatte ihre Schwester urplötzlich vor ihr gestanden, ohne dass sie sie hätte kommen hören, und die Erinnerung daran ließ ihr Herz augenblicklich schneller schlagen. Mia schlich. Mia kannte sich aus in diesem düsteren Haus, in dem drei Menschen gestorbenwaren. Sie tauchte aus dem Nichts auf und verschwand wieder, wie es ihr gefiel ...
    So leise wie möglich nahm Laura den Deckel des Kartons ab und inspizierte den Inhalt, hauptsächlich alter Christbaumschmuck, wie sie schnell feststellte. Sie fand Kugeln und Sterne in verschiedenen Größen und Farben, dazu Halter für Wachskerzen und einen Haufen zerdrückter Lamettagirlanden. Ihre Mutter hatte alljährlich auf einem Christbaum bestanden, doch nach Louisa Bradleys Tod hatte es im Herrenhaus nur noch Vasen mit ein paar dürren Tannenzweigen gegeben, die zu schmücken sich niemand mehr die Mühe gemacht hatte.
    Der zweite Karton, den Laura aus dem Wandschrank zog, enthielt Kleider, an die sie sich nicht erinnern konnte, und eine Blechdose mit Fotos: ihr Großvater Hans von Stetten mit dem Lieutenant-Governor von Jersey, ein stolzer Mann mit hellem Haar und hellen Augen, die sogar noch aus der abgegriffenen Schwarzweißaufnahme heraus ihre Funken versprühen. Ihr Vater in Marineuniform und skeptisch als Schuljunge. Ihre Mutter und ihre Patentante als alberne Backfische. Louisa Bradley am Klavier. Nicholas als Redner bei

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