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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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fähig wäre, ebenso wenig wie ich mir vorstellen könnte, dass du zu einer solchen Tat fähig wärst, schließlich ist sie deine Schwester ...«
    Laura kippte den letzten Schluck Wasser in den Ausguss und stellte ihr Glas in das Abtropfgitter neben der Spüle. Warum hatte sie ihre Patentante nicht einfach gefragt, was sie gemeint hatte? Warum, zur Hölle, hatte sie schon wieder nicht nachgehakt? Wütend schob sie die Gardine beiseite, um einen freien Blick in den Hof zu haben. Tatsache war, dass sie sich scheute, bestimmte Fragen zu stellen. Sie beließ es bei Halbwahrheiten. Sie gab sich mit Andeutungen zufrieden. Sie hatte Angst. An dieser unbequemen Erkenntnis führte kein Weg vorbei. Zugleich war ihr bewusst, dass es absolut idiotisch war, Angst zu haben. Immerhin war sie nur aus einem einzigen Grund nach Jersey zurückgekehrt: Sie wollte Antworten finden.
    Ich werde mir Mutters Sachen ansehen, beschloss sie, indem sie die Gardine wieder zuzog. Bestimmt hat Mia sie aufgehoben. Und heute Abend besuche ich Tante Cora und rede noch einmal mit ihr. Aber als Erstes ... Sie nickte stumm vor sich hin. Als Erstes sehe ich mir die Scheune an!
    Sie trat zur Hintertür hinaus und ging langsam auf das sperrige Gebäude zu, das genauso verwahrlost wirkte wie der Rest des Herrenhauses. Lediglich der untere Teil war gemauert, Heuboden und Speicher bestanden komplett aus Holz, das dringend eines Anstrichs bedurft hätte. DieTür allerdings war mit einem Sicherheitsschloss versehen, das neu aussah. Laura betrachtete es interessiert. Soweit sie sich erinnerte, hatte die Tür früher nur einen Riegel gehabt. Einen verbogenen, alten Riegel, den man bis in die Küche quietschen hörte. Jetzt allerdings hatte Mia ein Sicherheitsschloss anbringen lassen. Die Frage war: wann? Und vor allem: warum? Fürchtete sie etwa, jemand könnte ihre komischen Schmierereien stehlen? Laura rüttelte an der Tür.
    Ihre Schwester war zweifelsohne eine zutiefst neurotische Person. Vielleicht hatte sie tatsächlich Angst um ihre Werke, um all die sündhaft teuren Leinwände und Müll-Skulpturen und Skizzen und alles, was sich in den vergangenen fünfzehn Jahren sonst noch angesammelt haben mochte. Aber vielleicht bewahrte sie auch etwas anderes in dieser Scheune auf, die sie großspurig ihr »Atelier« nannte. Etwas, das sie durch ein Sicherheitsschloss schützen musste. Ein Messer zum Beispiel. Laura blickte an der Fassade hinauf in den strahlenden Sommerhimmel. Aber die Polizei hat das Herrenhaus und die Nebengebäude doch von oben bis unten durchsucht, widersprach sie sich selbst. Das Messer ist nicht dort gewesen. Nicht im Haus. Nicht im Keller. Und in der Scheune auch nicht. Und außerdem: Warum hätte Mia das Messer überhaupt aufbewahren sollen? Jeder vernünftige Mensch würde es beiseitegeschafft haben, nachdem sich der erste Trubel gelegt hatte. Sie hatte fünfzehn Jahre Zeit, dachte Laura. Fünfzehn Jahre, um alle Spuren zu beseitigen. Also warum um alles in der Welt hätte sie etwas aufheben sollen, das sie belasten konnte?
    Vielleicht, weil sie wirklich verrückt ist. Verrückt genug, um ein Beil zu nehmen und ihrem eigenen Vater das Gesicht zu zertrümmern.
    Tja, genau das wünsche ich mir eigentlich, dachte Laura bitter. Deshalb bin ich hier. Um einen Beweis dafür zu finden, dass meine Schwester ein blutrünstiges Monster ist. Ich suchte einen Verantwortlichen für meine Alpträume. Weil ich es für möglich halte, dass ich selbst das Monster bin. Weil ich ... Sie hielt inne, als ihr einfiel, dass sich an der Längsseite der Scheune noch ein schmales, vergittertes Fenster befand. Vielleicht konnte man von dort aus wenigstens einen Blick in die Scheune werfen!
    Hoffnungsvoll umrundete sie das Gebäude, doch sie hatte Pech. Das Fenster, das sie meinte, war mit dicken Holzbohlen vernagelt. Laura zog und rüttelte an den daumendicken Brettern, doch sie bewegten sich keinen Zentimeter. Verdammt, dachte sie, warum schließt sie alles ab? Wovor hat sie solche Angst?
    Sie lässt niemanden weiter als bis zum Briefkasten, flüsterte ihre Patentante in ihrem Ohr.
    »Aber ich lasse mich nicht so einfach aussperren«, murmelte Laura. »Ich bin hier, um mich umzusehen. Und genau das werde ich auch tun!«
    Entschlossen kehrte sie ins Haus zurück. Bei ihrer Durchsuchung des Vorratsschranks unter der Treppe war ihr der alte Werkzeugkasten ihres Vaters aufgefallen. Sie rief ein weiteres Mal laut nach ihrer Schwester, doch erwartungsgemäß erhielt sie

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