Blut Von Deinem Blute
auch dieses Mal keine Antwort. Also bewaffnete sie sich kurzerhand mit einem Schraubenzieher, einem Hammer und einem flachen, meißelartigen Werkzeug, von dem sie nicht die geringste Ahnung hatte, wofür man es üblicherweise verwendete. So ausgerüstet,stieg sie die Treppe in den ersten Stock hinauf. Sie hatte sich entschieden, mit dem Schlafzimmer ihres Vaters zu beginnen, vielleicht, weil es jener Raum war, aus dem sie am Vorabend so merkwürdige Geräusche gehört hatte. Vielleicht auch, weil sie wusste, dass sich ihre Stiefmutter dort aufgehalten hatte, kurz bevor sie ihrem Mörder begegnet war. Das hatten die Ermittlungen damals ergeben, auch daran erinnerte sie sich mit einem Mal wieder. Madame Bressons Betthälfte war benutzt gewesen, und sie hatte eines ihrer unförmigen Nachthemden getragen, als sie in der Küche niedergeschlagen worden war.
Laura probierte es zunächst mit dem Schraubenzieher, mit dem sie eine Weile im Schloss herumstocherte, allerdings ohne jeden Erfolg. Mit einem spöttischen Lächeln dachte sie an die Thriller, in denen der Held lässig mit seiner Kreditkarte durch die Ritze zwischen Tür und Türrahmen fuhr, woraufhin selbstredend sämtliche Türen ohne jeden Widerstand aufsprangen. Aber das hier war die Realität, und die sah definitiv anders aus!
Sie warf den Schraubenzieher zu Boden und setzte den Meißel genau auf Höhe des Schlosses an. Das alte Holz ächzte unter dem Druck, als sie sich zunächst vorsichtig, dann jedoch immer entschiedener dagegen stemmte. Schließlich nahm sie den Hammer zu Hilfe und hieb mit aller Gewalt auf das Ende des Meißels ein, bis das Holz unter der Wucht ihrer Schläge zersplitterte und die Tür sich ins Innere des Raumes öffnete.
Überrascht von ihrem Erfolg, blieb sie einige Augenblicke atemlos im Türrahmen stehen. Erst dann war sie in der Lage, sich umzusehen.
Was sie in dem Raum, den sie schon als Kind nur äußerstselten betreten hatte, vorfand, ließ sie erschaudern: Das Zimmer war voller Tierkäfige. Käfige auf dem Boden, befestigt an den Wänden, in den beiden weit geöffneten Wandschränken – überall Käfige. Sogar im Kamin stand ein rostiger Käfig mit Laufrad. Dafür hatte ihre Schwester die Bilder von den Wänden genommen, die früher dort gehangen hatten, ein Stillleben und ein antiquiertes Landschaftsbild. Sie lehnten an der Wand neben dem Ehebett und waren vollkommen verstaubt. Die Luft roch nach Tierkot und Staub, und Laura musste unwillkürlich an den Geruch denken, der ihr am Vormittag aufgefallen war, drüben im Badezimmer: der Geruch von nassem Fell.
Sie brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass die meisten der Käfige leer waren. Ein paar Meerschweinchen kauerten in einer großen, vergitterten Holzkiste. In dem Käfig mit dem Laufrad knabberte ein reichlich verfilztes Angorakaninchen an einer Mohrrübe, die augenscheinlich frisch war. Daneben gab es drei Ratten und eine Voliere mit Kanarienvögeln, die – aufgeschreckt durch Lauras gewaltsames Eindringen – hektisch umherflatterten.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
Sie fuhr herum.
Im Türrahmen lehnte ihre Schwester. Sie schien nicht wütend zu sein, eher überrascht.
Bleib ruhig und lass dich nicht beirren, du hast jedes Recht der Welt, dich hier umzusehen. Schließlich ist es auch dein Haus. Die Hälfte dieser gottverdammten Möbel, in denen diese gottverdammten Viecher hocken, gehört dir!
»Ich wollte mir Vaters altes Zimmer ansehen.« Sie bemühte sich, ihrer Stimme einen selbstsicheren Klang zu geben.
»Soso«, nickte Mia mit einem missbilligenden Blick auf das gesplitterte Holz. »Und dazu musstest du gleich die Tür aufbrechen?«
Laura schob den Kopf vor. »Es ist auch mein Haus.«
Ihre Schwester lachte. »Na klar doch.«
»Sind das deine Tiere?« Sie schluckte. Blöde Frage, dachte sie, wessen Tiere sollten es denn wohl sonst sein?!
»Ich kann das eben nicht mit ansehen.« Mia hob entschuldigend die Achseln. »Sie hocken in diesen engen Glasverliesen und werden angestarrt. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Hast du mal eine halbe Stunde vor den Fenstern einer Zoohandlung verbracht?« Sie kam einen Schritt näher, und Laura musste an sich halten, nicht vor ihr zurückzuweichen. »Alles drängt sich nach der Scheibe, Kinder schlagen mit ihren kleinen, klebrigen Fäusten gegen das Glas. Und immer Augen, die auf dich gerichtet sind. Von morgens bis abends Augen, die jede deiner Bewegungen verfolgen.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt nichts
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