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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Atem. »Sie ... sind aus Frankfurt?«
    Ihr war, als zögere der Fremde. Dann nickte er. »Waren Sie schon mal dort?«
    »Ich? Nein, ich ...« Gott, ihr Lachen klang ja total hysterisch! »Leider nicht.«
    Ein kurzer, interessierter Blick. Dann zeigte er wieder auf seinen Pass. »Brauchen Sie hiervon eine Kopie?«
    »Nein, vielen Dank. Es genügt, wenn Sie die Nummer eingetragen haben.« Ginny schluckte. Dann griff sie in eine der Schubladen neben sich und zog eine Schlüsselkarte heraus. »Sie haben Zimmer 309«, erklärte sie. »Aber geben Sie Acht, das Zimmer liegt im vierten Stock, nicht etwa im dritten, wie man aufgrund der Nummer vielleicht annehmen würde.«
    »Sie wollen also sagen, dass ich mich hüten soll, die falsche Tür zu erwischen«, scherzte Leon de Winter, und Ginny dachte, dass er wirklich verdammt gut aussah.
    »Keine Sorge«, beruhigte sie ihn. »Das Äußerste, was passieren kann, ist, dass Ihnen das Schloss des betreffenden Zimmers ein rotes Lämpchen zeigt. In diesem Fall kommen Sie hier runter und beschweren sich lautstark darüber, dass Ihre Karte kaputt ist. Und dann erkläre ich – oder eine meiner Mitarbeiterinnen – Ihnen die Sache mit der Aufteilung noch einmal von vorn, was Sie natürlichnicht davon abhält, uns weiter zu beschimpfen, weil wir Ihnen ein derart unlogisches System zumuten.« Er lachte. »Okay, das klingt fair.«
    Ginny schob die Schlüsselkarte in die dazu passende Hülle, schrieb Zimmernummer und Anreisedatum in die dafür vorgesehenen Felder und reichte sie ihm zusammen mit einem Stadtplan und einer Reihe von Informationsbroschüren über den Tresen. »»Willkommen im Beau Rivage, Sir«, sagte sie mit geschäftsmäßiger Routine, wobei sie inständig hoffte, dass ihr Lächeln ihre wahren Gefühle überstrahlte. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«

9
    Laura hatte die Einladung ihrer Patentante zum Mittagessen höflich, aber bestimmt ausgeschlagen. Sie hatte das dringende Gefühl, allein sein zu müssen, um wieder halbwegs klar denken zu können. Nachdem sie die Tür des Herrenhauses hinter sich ins Schloss gezogen hatte, wiederholte sie ihren Erkundungsgang vom Vormittag, um sicherzugehen, dass Mia in der Zwischenzeit nicht vielleicht doch zurückgekehrt war. Aber nach wie vor waren die meisten Räume verschlossen, und selbst das Gedeck, das Laura ihrer Schwester zum Frühstück hingestellt hatte, stand unangetastet auf dem Küchentisch.
    Hin und wieder scheint sie für ein paar Tage zu verreisen, flüsterte die Stimme ihrer Patentante Laura aus der düsteren Diele zu. Und niemand weiß, wohin sie bei diesen Gelegenheiten fährt ...
    Etwas an dieser Bemerkung bereitete ihr Sorgen, und Laura überlegte, was es war. Sie hatte immer ein bestimmtes Bild von ihrer Schwester gehabt. Zu diesem Bild hatte zum Beispiel das Herrenhaus gehört, die Düsternis der Scheune, Ölfarben und Zeichenkreide, Herr Moll und Lehrer, die zweifelnd mit den Schultern zuckten, wenn es um Mias Schulnoten oder eine bevorstehende Versetzung ging. Nicht mit diesem Bild in Einklang zu bringen war dagegen ein Führerschein. Oder ein Auto. Ausflüge. Oder gar Freunde auf dem Festland. Ein Mensch wie Mia hatte keine Freunde. Oder doch?
    Laura drehte den Wasserhahn über dem Spülstein auf und nahm sich ein Glas Leitungswasser. Sie hatte schon wieder entsetzlichen Durst. Diese verdammte Insel schien auch noch den letzten Tropfen Flüssigkeit aus ihrem Körper zu saugen.
    Glaubst du, dass Mia es getan haben könnte?
    Kurz bevor sie auseinander gegangen waren, hatte sie ihrer Patentante diese Frage gestellt. Sie hatte sehen wollen, wie eine nüchterne und lebenskluge Frau wie Cora darauf reagierte.
    »Glaubst du, dass Mia es getan haben könnte?«
    Cora hatte lange geschwiegen und dann eine Antwort gegeben, die Laura noch immer ausgesprochen merkwürdig vorkam: »Sie ist deine Schwester.«
    Während sie ihr Glas ein weiteres Mal auffüllte, überlegte sie, was ihre Patentante ihr mit diesem merkwürdigen Satz hatte sagen wollen. Sie ist deine Schwester. Steckte überhaupt so etwas wie eine Antwort in dieser banalen Feststellung? Sie ist deine Schwester. Was hieß das? Hieß es so viel wie: »Ja, ich denke, Mia könnte euren Vater und eure Stiefmuttermit einer Axt erschlagen haben, aber selbst wenn sie es getan hätte, solltest du nicht daran rühren, schließlich ist sie deine Schwester.« Oder hieß es: »Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Mia zu einer solchen Tat

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