Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
Vom Netzwerk:
Untersuchung?«
    »Nein.«
    »Nicht?« Leon schüttelte verwundert den Kopf. »Aber so, wie die Dinge lagen, wäre ein solches psychologisches Gutachten aus der Zeit kurz vor der Tat doch wohl von einiger Relevanz gewesen, oder nicht?«
    »Klar«, stimmte Hearing ihm zu. »Aber um es einzusehen, hätten wir Mia Bradleys Einverständnis gebraucht.«
    »Wieso?«
    »Solange nicht offiziell Anklage erhoben wird, haben wir keinerlei rechtliche Handhabe, solche Auskünfte zu erzwingen«, erklärte Hearing, und sein Ton war mit einem Mal gereizt. »Ist das bei Ihnen in Deutschland etwa anders?«
    »Nein«, sagte Leon, dem allmählich aufging, was diesen Fall für den Beamten auf der anderen Seite des Schreibtisches so frustrierend machte. »Sie sagten eben, der Geschäftsführerdes Hotels habe den Mädchen einen Anwalt besorgt«, griff er eilig etwas auf, über das sie zuvor gesprochen hatten. »War das jemand von hier?«
    Hearing verneinte. »Soweit ich weiß, rief Marquette als Erstes Dr. Merrywater an, den Anwalt, der Nicholas Bradley auch in allen beruflichen Belangen vertreten hat.« Sein Blick verschwamm, während er nachdachte. »Gewiefter alter Fuchs. Er hatte eine eigene kleine Kanzlei in London, und natürlich war er klug genug, sich ein paar gelackte Schnösel von Strafverteidigern mitzubringen, als er hier aufkreuzte.«
    Leon horchte auf. »Wenn Nicholas Bradley tatsächlich so geizig war, wie alle behaupten, warum hat er sich dann nicht von einem der hiesigen Anwälte vertreten lassen?«
    »Weil der Kerl ein unausrottbares Misstrauen gegen alles hegte, was mit dieser Insel zusammenhing.« Hearings Kohleaugen funkelten amüsiert. »Da ließ er seinen Anwalt lieber für teures Geld aus London einfliegen.«
    Etwas, das überhaupt nicht ins Bild passt, hielt Leon im Stillen fest. »Brauchte er oft juristischen Beistand?«
    »Na ja, er war nicht gerade besonders umgänglich«, entgegnete Hearing. »Aber im Grunde ging es, wenn überhaupt, immer um irgendwelche Bagatellen. Unbezahlte Rechnungen, geschäftsschädigendes Verhalten von Konkurrenten, lauter Kleinkram.«
    »Sie haben in dieser Richtung also nichts gefunden, was mit dem Verbrechen in Zusammenhang stehen könnte?«, insistierte Leon, weil ihm dieser Punkt besonders wichtig schien.
    Hearing schüttelte den Kopf. »Nein, nichts.«
    Leon sah wieder die Fotos an, die hinter dem PPU-Mannan der Wand hingen. »Warum, glauben Sie, hat Mia Bradley die Insel bis heute nicht verlassen?«
    Der neuerliche Themenwechsel schien Hearing zu verblüffen, denn er brauchte einen Augenblick, bevor er antwortete: »Also, wenn ich mit so was davongekommen wäre«, sagte er schließlich, »dann hätte ich das Geld genommen, meine Sachen gepackt und mich irgendwo auf neutralem Boden niedergelassen, wo mich keiner kennt. Ohne Zögern und ohne Nachsendeadresse.«
    »Aber Mia Bradley hat genau das eben nicht getan«, wandte Leon ein.
    »Richtig.«
    »Warum nicht?«
    »Ehrlich gestanden kann ich mir nur zwei Gründe denken.«
    »Nämlich?«
    »Entweder sie ist tatsächlich unschuldig ...«
    Leon fixierte Hearings Gesicht. »Oder?«
    Die Augen des PPU-Mannes waren zwei pechschwarze Teller, als er mit unergründlicher Miene ergänzte: »Oder aber die Einschätzung, die die meisten von uns damals vertreten haben, war doch richtig, und Mia Bradley ist der abgebrühteste Mensch auf Gottes Erdboden.«

4
    Lynn Sanders schwang ihre langen, wohlproportionierten Beine aus dem Bett. »Alles klar?«
    »Sicher, wieso?« Ryan blickte an ihr vorbei in den angelaufenen Spiegel über dem Frisiertisch, um sicherzugehen, dass er sein Hemd richtig knöpfte. Lynn und er trafen sich nun schon seit knapp drei Wochen regelmäßig in einem der unrenovierten Gästezimmer unter dem Dach des Hotels, die zwar geräumig waren und über eine atemberaubende Aussicht verfügten, aber mit ihrem abgenutzten Fünfziger-Jahre-Charme keinem modernen Gast mehr zuzumuten waren. Zumindest nicht, wenn es nach Ginnys Meinung ging. Sie bemühte sich seit geraumer Zeit um die Erlaubnis, die Zimmer renovieren zu lassen, doch bislang waren alle diesbezüglichen Pläne von Mia Bradley abgeschmettert worden. Etwas, das Ginny – wie er wusste – als persönliche Niederlage begriff.
    »Ich weiß nicht«, maulte Lynn, »du benimmst dich so eigenartig heute.«
    »Findest du?«
    Anstelle einer Antwort setzte sie sich zu ihm und legte einen Arm um seine Schultern. Ryan betrachtete ihr Gesicht neben sich im Spiegel und fühlte sich mit

Weitere Kostenlose Bücher