Blut Von Deinem Blute
und zwar im lupenreinsten Englisch, das ihm bislang auf dieser Insel untergekommen war. »Ich lebe jetzt schon so lange wieder hier draußen, dass ich gar nicht mehr merke, wann ich was spreche. Geschweige denn, ob mir mein Gesprächspartner folgen kann oder nicht.«
Na klar, dachte Leon, und die Erde ist eine Scheibe!
»Mögen Sie vielleicht ein Glas Limettenlimonade?« Ihre Augen blitzten. »Ich mache sie selbst.«
Was so viel hieß wie: Na schön, ich habe meinen Spaß gehabt, jetzt lassen Sie uns Frieden schließen, damit wir zu den wirklich wichtigen Dingen des Lebens kommen können ...
»Ja, danke«, sagte Leon. »Sehr gern.«
Die Alte grinste. »Also diese kleine Schwedin hat Sie zu mir geschickt«, stellte sie fest, nachdem sie einen rustikalen Keramikkrug aus dem Kühlschrank geholt hatte. »Inga ...«
»Sie meinte, dass Sie mir vielleicht weiterhelfen können.«
In Bernadette Labraques Augen stahl sich ein Hauch von Neugier. »Wobei?«
Auf der Fahrt hatte Leon sich eine Strategie zurechtgelegt, von der er keine Ahnung hatte, ob sie funktionieren würde. Andererseits bezweifelte er, dass die ehemalige Hausdame des Beau Rivage auf die Wissenschaftler-Schiene und irgendein obskures historisches Interesse anspringen würde. »Ein Freund von mir hat vor kurzem eine Frau kennengelernt, die ursprünglich von Jersey stammt«, begann er, wobei er inständig hoffte, sich nicht zu verraten. »Er liebt diese Frau sehr, aber jetzt hat er durch Zufall erfahren, dass sie eine ... Nun ja, eine etwas problematische Vergangenheit hat. Ihr Name ist Laura Bradley.«
»Tja, Laura«, murmelte Bernadette Labraque. »Die ist schon vor einer ganzen Weile weg, das stimmt.« Sie machte eine nachdenkliche Pause. »Allerdings habe ich gehört, dass sie wieder zurück sein soll.«
»Das habe ich auch gehört«, entgegnete Leon wahrheitsgemäß.
Ein langer, prüfender Blick. »Hat das vielleicht was mit Ihnen zu tun?«
Leon lächelte. Diese Frage konnte er guten Gewissens verneinen.
»Na ja, vielleicht wollen sie so was wie einen Jahrestagabhalten«, schlug die Alte mit beißendem Sarkasmus vor, und Leon fragte sich, wen genau Bernadette Labraque mit »sie« meinte. »Immerhin werden's doch nächste Woche fünfzehn Jahre, dass ihr Vater tot ist.«
»Er und die Mutter sind ermordet worden, nicht wahr?«, fing er den Ball, den die ehemalige Hausdame ihm zugespielt hatte, bereitwillig auf.
»Sti'e/mutter«, korrigierte Bernadette Labraque. »Sie war nur die Stiefmutter der Mädchen.«
»War das ein Problem?«
Sie nickte. »Ehrlich gesagt waren wir alle ziemlich überrascht, als Bradley sie so plötzlich mitbrachte. Noch dazu so kurz nach dem Tod seiner ersten Frau.« Sie kräuselte abfällig die Lippen. »Louisa war kaum ein Dreivierteljahr unter der Erde, da brachte er schon ihre Nachfolgerin ins Haus. Was ich, zugegeben, ein wenig pietätlos fand.«
Zumindest war es nicht besonders diplomatisch, gab Leon ihr im Stillen recht.
»Die beiden hatten in aller Stille geheiratet, irgendwo in Nordfrankreich«, fuhr Bernadette Labraque fort. »Nicht mal die Töchter wussten Bescheid. Na, die haben ihrer Stiefmutter ein herzliches Willkommen bereitet, das können Sie glauben!«
Schon als sie hier ankam, wart ihr entschlossen, sie wieder loszuwerden, beschwerte sich ein imaginärer Julien. Und wenn ihr sie dafür umbringen musstet!
»Von dem Moment an, wo die Bresson ins Haus kam, gab's nur noch Streit«, fuhr die ehemalige Hausdame des Beau Rivage mit düsterer Miene fort. »Es verging kein Tag, ohne dass es richtig geknallt hätte. Und irgendwann hat man sie dann beide tot in der Küche gefunden.«
Leon erschrak über die Folgerichtigkeit ihrer Formulierung. Nicholas Bradleys Töchter hatten ihre Stiefmutter nicht akzeptiert. Ihretwegen hatte es immer wieder Streit gegeben. Und eines Morgens hatte Jacqueline Bresson tot in der Küche gelegen. Genau wie der Mann, der sie in aller Heimlichkeit geheiratet hatte. »Wie lange hat Madame Bresson denn bei den Bradleys gelebt?«, fragte er, wobei er mit Mühe den Zusatz »bevor sie sie umgebracht haben« unterdrückte.
Bernadette Labraque überlegte einen Augenblick. »Werden etwa fünf Jahre gewesen sein, schätze ich.«
»Und stimmt es auch, dass Lauras Schwester der Tat verdächtigt wurde?«
Die ehemalige Hausdame zögerte. »Es gab 'ne Menge Gerüchte damals«, entgegnete sie ausweichend.
Leon wartete, ob sie mehr sagen würde. Doch Bernadette Labraque schwieg. »Ich habe sie
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