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Blut Von Deinem Blute

Titel: Blut Von Deinem Blute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Verstand, dachte sie mit einer Mischung aus Amüsement und Angst. Und dann ist es endlich vorbei.
    Die Fäden verdichteten sich. Das taten sie immer, kurz bevor sich auch das spärliche rote Licht wieder zurückzog.
    Sie versuchte, sich zu wappnen, gegen die Finsternis, die nun ohne Zweifel folgen würde. Wann würde das Licht zurückkehren?
    Würde es jemals wiederkommen?
    Wo war Mia?

3
    Jason Hearings Gesicht sah aus, als sei es zu oft gewaschen worden. Der Beamte der Public Protection Unit war ein Riese, an die hundertfünfzig Kilo schwer und dabei glatt wie ein Baby. Sein tadellos gebügeltes Hemd spannte ab Taillenhöhe deutlich, und unter den Achseln zeichneten sich zwei kreisrunde Schweißflecken ab.
    »Wollen Sie einen Kaffee?«, fragte er in jovialem Ton, und Leon nickte, obwohl er bei der Hitze lieber etwas Kaltes gehabt hätte.
    Hearing angelte eine Thermoskanne vom Sideboard in seinem Rücken, befüllte einen leicht zerknickten Pappbecher und rührte ohne zu fragen zwei Teelöffel Kaffeeweißer hinein, bevor er Leon die Mixtur über den Schreibtisch reichte. Er mochte etwa Mitte fünfzig sein, gehörte jedoch zu der Sorte Männern, bei denen man sich leicht vertat. Sein Teint war hell, doch seine kohlschwarzen Augen verrieten, dass irgendwann einmal ein Farbiger seine genetischen Spuren in Hearings Familie hinterlassen haben musste.
    »Also schön«, sagte er, indem er sich mit seinem eigenen klobigen Keramikbecher in seinem Chefsessel zurücklehnte. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Wie ich bereits Ihrer Kollegin sagte, recherchiere ich das Schicksal deutscher Besatzungssoldaten hier auf Jersey«, antwortete Leon, indem er Hearing eine Visitenkarte seines Instituts über den Schreibtisch reichte.
    »Professor, hm?«, machte dieser, ohne auch nur im Mindesten beeindruckt zu sein. »Sollten Sie da nicht eher in einem Archiv herumturnen? Oder bei den Brüdern von der CIOS, der Channel Island Occupation Society?«
    Leon überlegte, ob der PPU-Beamte sich über ihn lustig machte oder einfach nur locker klingen wollte. »Es geht mir nicht um allgemeine Informationen«, erklärte er, obwohl er sicher war, dass der Beamte auf der anderen Seite des Schreibtisches längst Bescheid wusste. »Vielmehr bin ich im Zuge meiner Forschungen auf eine Familientragödie gestoßen, die mein Interesse geweckt hat. Und ich hätte gern mehr über die Sache gewusst.«
    Hearings Miene blieb steinern. An der Wand in seinem Rücken hingen ein paar Fotografien in billigen Metallrahmen, uniformierte Männer in stocksteifen Reihen. Einige der Aufnahmen waren so vergilbt, dass sie vermutlich schon an dieser Wand gehangen hatten, als Hearing selbst noch ein kleiner Junge gewesen war, und Leon fragte sich, ob ihr Vorhandensein wohl ein Indiz für Hearings Traditionsbewusstsein oder doch eher für dessen Faulheit war.
    »Kurz gesagt interessiere ich mich für den Mord an Nicholas Bradley und seiner Frau«, sagte er, als der Beamte der PPU keine Anstalten machte, irgendwelche Fragen zu stellen. »Ihre Kollegin sagte mir, dass Sie damals mit dem Fall befasst waren und mir vielleicht weiterhelfen könnten.«
    »Üble Geschichte«, brummte Hearing. »Was genau interessiert Sie daran?«
    »Eigentlich alles«, entschied sich Leon für den direkten Weg.
    Der PPU-Mann grinste. »Das ist mal 'ne ehrliche Antwort.« Er stemmte sich aus seinem Stuhl hoch und marschierte breitbeinig zu einem niedrigen Aktenschrank hinüber, der an der gegenüberliegenden Wand stand. »War'n Riesenaufsehen damals. Das Spektakulärste, was wir jemals hier auf den Inseln hatten.« Er stöhnte, als er vor dem Schrank in die Knie ging und mit zielsicherem Griff einen Ordner herauszog. »Und deshalb hat man uns auch nicht zugetraut, die Sache allein zu bearbeiten.«
    Leon betrachtete Hearings massigen Rücken und überlegte, ob er wohl eine gewisse Genugtuung darüber empfand, dass es auch den Experten aus Portsmouth nicht gelungen war, den Fall Nicholas Bradley zu lösen.
    »Natürlich liest sich unsere Verbrechensstatistik tatsächlich vergleichsweise harmlos«, räumte der PPU-Mann ein, als er mit dem Ordner an seinen Schreibtisch zurückkehrte. »Aber das bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass wir hier hinterm Mond leben.«
    »Oder im Paradies«, konnte Leon nicht umhin einzuwerfen.
    Hearing stieß ein freudloses Lachen aus. »Klar sollen die Touristen das Gefühl haben, hier ist alles eitel Sonnenschein. Und bestimmt legt man sein gutes Geld auch lieber in einer Stadt

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