Blut von meinem Blut: Thriller (German Edition)

so sein sollte?
    Oder war es, weil der tief verborgene Billy-Teil von ihm es kaum mehr erwarten konnte und ungeduldig am Zügel zerrte, weil er losgelassen werden wollte, um endlich zu tun, wozu er geboren und erzogen worden war?
    Er schloss die Augen so fest er konnte. So fest wie in der Nacht, in der Billy den armen Rusty gehäutet hatte. Das Heulen des Hunds, als Billys Messer sein grausames Werk verrichtet hatte …
    Neue Lichterscheinungen hinter seinen Augenlidern, diesmal nicht die Tatorte von den Bildern, sondern wie er sie an diesem Abend gesehen hatte.
    Ich habe heute Abend etwas Gutes getan. Ich habe geholfen. Heißt das, es müsste besser werden, nicht schlechter?
    Sex und Töten. Die beiden Träume, die ineinanderflossen. Was hatte das zu bedeuten?
    Als Jazz die Augen öffnete, war seine Stimme tief, bestimmt, emotionslos.
    » Du solltest diese Kondome wegwerfen « , sagte er.
    Und dann kroch er in das andere, leere Bett, um zu schlafen.

15
    Billy Dent streifte durch Brooklyn, als der Tag gerade klar und kalt angebrochen war. Er stellte den Mantelkragen hoch und zog sich die Mütze über die Ohren.
    Das kalte Wetter machte es sogar noch leichter, sich zu verstecken. Alle Leute waren vermummt. Alle hatten es so eilig, an ihr Ziel zu kommen. Niemand blieb stehen, um einen anderen anzusehen. Alle trugen Handschuhe, wie praktisch. Kein Problem, die Gefängnis-Tattoos zu verbergen. LOVE und FEAR .
    Er verbarg sie, aber sie waren immer noch da. Liebe und Furcht. Gleichberechtigt. Vielleicht sogar das Gleiche.
    Es hätte ohnehin nichts ausgemacht, wenn ihn jemand angesehen hätte. Billy fürchtete das menschliche Auge nicht. Das menschliche Auge war ein launisches, törichtes Ding. Sein Ziegenbärtchen und der Schnauzer veränderten zusammen mit den breiten und in der richtigen Länge gestutzten Koteletten die Winkel und die Anordnung seines Gesichts. Die kurz geschnittenen Augenbrauen ließen die Augen selbst deutlicher vorstehen. Und natürlich hatte er sich das Haar gefärbt.
    Billy lachte in sich hinein, wenn er an die Eitelkeit von Frauen dachte, und wie sie Leuten wie ihm das Leben erleichterte. Gott segne Miss Clairol und ihre unzähligen Tönungen und Schattierungen! Billy hatte es durch Mischen bestimmter Farben fertiggebracht, sein schmutzig blondes Haar in grau werdendes Braun zu verwandeln. Nachdem er es mit einem Elektrorasierer ausgedünnt hatte, sah er zehn Jahre älter aus. Der letzte Touch war noch eine schwarze Brille mit massivem Gestell, von der Art, wie Billys Vater sie früher getragen hatte. Bei den dämlichen Hipstern in Brooklyn galten solche Brillen als » modisch « . Sie verzerrte Billys Züge zusätzlich auf eine Art, die ihm gefiel und ihn schwerer erkennbar machte. Ein Hoch auf die Mode!
    Wenn man sich tarnte, ging es nicht nur darum, anders auszusehen; es ging darum, anders auszusehen als das, wonach die Leute suchten. Die Polizei konnte sich vorstellen, dass sich Billy einen Bart stehen ließ oder einen Bart abrasierte, sein Haar wachsen ließ oder sein Haar färbte, aber würden sie sich vorstellen, dass er sich älter machte?
    Er hatte die Vorgehensweise von Polizei und FBI fast sein ganzes Leben lang studiert. Er wusste, wie sie dachten und – wichtiger noch – wie sie glaubten, dass er dachte. Sie hielten ihn für ein unermesslich eitles Geschöpf, und sie konnten sich nicht vorstellen, dass er bereit sein würde, sich älter zu machen, um einer erneuten Festnahme zu entgehen.
    Aber Billy war bereit, alles zu tun, um einer erneuten Festnahme zu entgehen.
    Nach Jahren im Gefängnis, in denen er nichts anderes zu tun gehabt hatte, als zu trainieren, war Billy in erstklassiger Verfassung, aber er kleidete sich so, dass man nichts davon sah. Ging leicht gebückt. Trug immer eine Uhr, wenn er unterwegs war, und schaute ständig darauf, um zu übermitteln, dass er in seiner eigenen Welt lebte.
    Und zusätzlich hatte er noch ein perfektes Element der Tarnung: einen Kinderwagen und einen Beutel Windeln.
    Dieser Teil von Brooklyn hieß Park Slope, und Billy hatte schnell bemerkt, dass so gut wie jeder hier einen Hund, einen Kinderwagen oder beides mit sich führte. Er hatte kein Interesse daran, sich tatsächlich um ein Lebewesen zu kümmern, aber er hatte ein großes Interesse daran, nicht aufzufallen, deshalb hatte er einen gebrauchten Kinderwagen gekauft und ein Bündel Decken so hineingestopft, dass es aussah wie ein Baby. Da Winter war, konnte er das Verdeck zulassen. Jeder,