Blutberg - Kriminalroman
Zug.
»Hättest du mir zugehört?«, fragte er. »Hättest du mir geglaubt?«
Zum Glück hinderte der Hustenanfall Guðni daran, aufzuspringen und Steinþór an die Kehle zu gehen, bevor ihn einer von den anderen hätte daran hindern können. Steinþór versicherte rasch, er habe doch nicht gewusst, dass Björn Prostituierte für sich arbeiten ließ, geschweige denn, dass er Helena dazu gebracht hatte, sich zu verkaufen. Sonst hätte er längst eingegriffen.
Guðni fand das eine ziemlich klägliche Rechtfertigung, und daraufhin verwandelte sich die Besprechung in ein heftiges Wortgefecht zwischen den beiden. Sie fetzten sich über die Verantwortung seitens der Polizei beziehungsweise der Eltern, und beschuldigten sich gegenseitig mangelnder Intelligenz und Unfähigkeit. Stefán mischte sich ein, und es gelang ihm, sie zeitweilig zum Schweigen zu bringen.
»Wir haben wirklich keine Zeit für derartigen Blödsinn«, erklärte er barsch. »Wenn ihr meint, dass ihr nicht zusammenarbeiten könnt oder wollt, dann könnt ihr beide zusammenpacken und nach Hause gehen, und zwar auf der Stelle. Verstanden?« Beide nickten nach einigem Zögern, zuerst Steinþór und dann Guðni. Beide waren stinkwütend, aber sie schienen ihre geballten Fäuste für den Augenblick zurückhalten zu können. »Gut«, erklärte Stefán, »sehr gut. Dann bleiben uns vielleicht zusätzliche Schlagzeilen über Prügeleien zwischen Polizeiangehörigen erspart. Wir können also weitermachen?« Niemand widersprach. »Irgendwelche Fragen?«
Katrín sah ihn an. »Ja, eine Frage. Was wolltet ihr da eigentlich in Halldórs Wohnung? Ich meine …«
Stefán hob die Hand. »Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen.« Er verstummte, nahm seine Kappe ab und warf sie auf den Tisch. »Wir sind aus demselben Grund dorthin gegangen, wegen dem ich diese Besprechung anberaumt habe«, sagte er. »Halldór wohnte direkt neben Ásmundur, und eigentlich wollten wir dorthin. Wie ihr wisst, konnten die Leichen gestern Abend endlich transportiert und heute Morgen mit der ersten Maschine nach Reykjavík gebracht werden. Ich hatte Geir gebeten - das ist unser Rechtsmediziner«, fügte er erklärend für Steinþór hinzu, »sie sich sofort anzusehen und mit Ásmundur zu beginnen, da er der Einzige ist, der nicht bei dem Bergsturz ums Leben kam. Er hat ihn noch nicht obduziert, ihn aber gründlich genug in Augenschein genommen, um zu einem vorläufigen Ergebnis zu gelangen. Er ist sich ziemlich sicher und fand die Sache so wichtig, dass er mich gleich davon unterrichtet hat. Ásmundur ist ermordet worden.«
»Aber …«, sagten Árni und Katrín, doch Guðni sah Stefán nur fragend an. Der schüttelte den Kopf.
»Ich weiß«, sagte er, »wir sind davon ausgegangen, dass er sich erhängt hat, und Geir meint, es sind eindeutige Spuren zu sehen, dass er das auch versucht hat, aber genauso eindeutig ist auch, dass es ihm nicht gelungen ist. Sich zu erhängen ist nämlich schwieriger, als man denkt, meint Geir. Zum einen dauert es ziemlich lange, es sei denn, dass man sich das Genick bricht, und dazu braucht es eine ordentliche Fallhöhe und eine gut geknüpfte Schlinge. Sonst wird nur die Luftzufuhr abgeschnitten, und das Blut fließt weiter - oder umgekehrt, ich habe es nicht so genau im Kopf. Man bekommt Schwindelgefühle, verliert vielleicht sogar für kurze Zeit das Bewusstsein, kommt aber wieder zu sich und beginnt instinktiv
zu kämpfen, weil man die Entscheidung bereut. Steht auf, löst die Schlinge und lässt es damit gut sein. Natürlich nicht alle, das wissen wir, aber viele. Geir ist wie gesagt der Meinung, dass das auf Ásmundur zutrifft. Der arme Mann hing ja auch nur an einer Kleiderstange und lag halb auf dem Boden, da ist es schwierig, sich zu erhängen, aber umso einfacher, wieder aufzustehen.«
»Und was weiter?«, fragte Katrín, »Wie ist er dann gestorben?«
»Er wurde erwürgt«, sagte Stefán leise. »Mit dem Schlips, mit dem er sich erhängen wollte. Was so aussah wie ein breiter Abdruck am Hals sind wohl drei, wenn man genauer hinsieht. Einer davon stammt von seinem eigenen Versuch, meint Geir, und der reicht bloß bis knapp hinter die Ohren, was gut dazu passt, dass er versucht hat, sich zu erhängen, dabei aber halb auf dem Boden gelegen hat. Und dann ist da ein anderer Abdruck, mitten in dem ersten, der von vorne bis in den Nacken geht. Er liegt etwas unterhalb des ersten Abdrucks und ist außerdem sehr viel schmaler. Wahrscheinlich
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