Blutberg - Kriminalroman
stammt er auch von der Krawatte, aber er verläuft ein bisschen anders, geht nicht so weit rauf wie der andere Abdruck, ist aber auch nicht ganz gerade. Und schließlich ist da noch ein dritter, sehr viel schwächerer Abdruck, der verläuft etwas anders als die beiden anderen. Geir ist sich ziemlich sicher, dass der post mortem entstanden ist. Fast keine Quetschungen, nur eine leichte Vertiefung, und die oberste Hautschicht ist vorne unterhalb des Hauptabdrucks und etwas oberhalb bei den Ohren in Mit leidenschaft gezogen.« Stefán verstummte und gab ihnen ein bisschen Zeit, um das zu verdauen.
»Er war also entschlossen, sich umzubringen«, sagte Katrín nach kurzem Überlegen, »hat den Brief geschrieben, hat versucht, sich zu erhängen, und dann einen Rückzieher gemacht.
Zum Schluß wurde er aber erwürgt und wieder aufgehängt? Willst du das damit sagen?«
Stefán nickte. »Ja. Geir konnte natürlich nichts Endgültiges sagen, das ist ja auch nicht seine Aufgabe, aber er glaubt wie gesagt, dass es so gewesen sein könnte , und er hält das sogar für die wahrscheinlichste Erklärung für die Spuren am Hals. Das soll mir reichen, bis sich etwas anderes herausstellt. Ásmundur wurde ermordet.«
» Jesus Christ «, entfuhr es Árni.
»Ja, er auch«, sagte Stefán, »aber das ist nicht unser Fall.«
Róbert führte sechzehn Telefongespräche und entwarf eine E-Mail, die er an noch mehr Leute schicken wollte, bevor er sich die Zeit dazu nahm, seinen ärgsten Hunger zu stillen. Er entschied sich für ein chinesisches Gericht in der Kantine für die allgemeine Belegschaft. Die Reaktion bei den meisten, mit denen er telefoniert hatte, war die gleiche gewesen: erst Ungläubigkeit, dann Entrüstung und schließlich Wut, genau wie er erwartet und gehofft hatte. Seine Vorgesetzten beim Gewerkschaftsbund und die Oppositionsparlamentarier waren außer sich. Es kam ihm aber ganz so vor, als sei der heilige Zorn der Letztgenannten durchaus mit Schadenfreude gemischt. Aus purer Bosheit rief er auch den Vorsitzenden des Parlamentsauschusses für Wirtschaft und Technologie an, der sich in seiner Einfalt selbstverständlich weigerte, ein einziges Wort von dem zu glauben, was Róbert sagte, und ihn ein weiteres Mal beschuldigte, subversive Ziele zu verfolgen und eine negative Einstellung zu den ländlichen Regionen, vor allem denen im Osten, zu haben.
Der stellvertretende Vorsitzende dagegen kochte vor Wut, wie Róbert erwartet hatte, und versprach eine harte Hand bei derartigen Übergriffen, die parteipolitischen Richtlinien konnten ihm in dem Zusammenhang gestohlen bleiben. Die
Journalisten gingen in die Luft, wie Róbert erwartet hatte, sogar der Mann vom konservativen Morgunblaðið schien entrüstet zu sein. Und Egill, seit sechzehn Jahren Róberts Lebenspartner, ein fünfzigjähriger Koloss von einem Mann mit Bodybuilding-Spleen, bedurfte längeren beschwichtigenden Zuredens, bevor er davon Abstand nahm, nicht geradewegs zum Chef des IKA zu marschieren und den verdammten Kerl windelweich zu prügeln, was er am liebsten getan hätte.
Bei der Vorstellung musste Róbert unwillkürlich lächeln. Er schaufelte den Rest vom Reis mit der scharfen Sauce in sich hinein. Wie die hieß, wusste er nicht, aber sie war vorzüglich und hatte nicht das Geringste mit dem zu tun, was in chinesischen Restaurants in Reykjavík angeboten wurde. Rings um ihn saßen die Leute, redeten, gestikulierten, flüsterten und schüttelten die Köpfe. Sie ließen ihn aber in Ruhe essen. Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen oder ärgern sollte. Eigentlich hätte man erwarten können, dass sich alle um ihn scharten, Informationen verlangten, Reaktionen, Maßnahmen, irgendwas. Warum sie das nicht taten, war ihm ein Rätsel. Vielleicht haben die Leute genug am Hals, dachte er, vielleicht rechnet niemand damit, dass in einer Situation wie dieser die Gewerkschaft oder ich irgendetwas ausrichten kann. Und vielleicht haben sie ja recht, fügte er im Stillen hinzu. Er stand auf, stellte sein Tablett weg und holte sich Kaffee. Was könnte ich denn mehr tun, als das, was ich bis jetzt schon getan habe.
Róbert schlenderte mit dem Kaffee in den Gemeinschaftsraum auf der anderen Seite des Korridors, obwohl das streng genommen eigentlich verboten war. Er setzte sich auf ein Sofa in der Ecke, rührte heftig in dem Becher herum und blies auf den Kaffee. Er hatte doch schon einiges getan, überlegte er, viel mehr, als man fairerweise von ihm verlangen
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