Blutberg - Kriminalroman
Tage mit Binden
und Tampons bevorstanden. Sie war immer gleich erstaunt, dass sie nicht ständig umkippte, wenn es am schlimmsten war. Woher kam bloß all dieses Blut, verflixt noch mal? Und dann noch mindestens drei, oft vier und manchmal sogar fünf Tage mit diesen verdammten Binden im Schritt. Katrín schätzte sich im Prinzip als realistische Person ein, sie hielt sich an die Tatsachen, blickte ihnen kaltblütig ins Auge und gab sich äußerst selten Tagträumen hin. Trotzdem ertappte sie sich hin und wieder doch dabei, den Tag herbeizusehnen, wo irgendein Damenbindenhersteller all die Versprechen hielt, die in der Fernsehreklame gemacht wurden.
Guðni klopfte vorsichtig an, dann öffnete er die Tür und betrat leise das winzige Zimmer. Die Deckenlampe war ausgeschaltet, aber die orangefarbene Leselampe über dem Kopfende brannte.
»Was liest du gerade?«, fragte er und zog einen Stuhl ans Bett.
»Ein Buch«, antwortete Helena ohne hochzublicken.
Guðni streckte die Hand aus, schob einen Finger unter das Buch und hob es hoch. »Schach zu viert«, las er. »Ist es gut?«
Helena zuckte mit den Schultern. »Ganz in Ordnung«, sagte sie zögernd, »bis jetzt auf jeden Fall noch.« Sie sah hoch. »Was willst du?«
Guðni wurde unsicher. »Mir … ich …«, stotterte er verlegen, »ich wollte nur gern mit dir reden und sehen, wie es dir geht.«
Helena schnaubte verächtlich und hielt sich das Buch vors Gesicht. »Das wäre dann das erste Mal.« Guðni antwortete nicht darauf. Helena ließ das Buch wieder sinken und sah ihren Vater an. »Dreimal«, sagte sie wütend. »Du hast bis heute Abend genau dreimal mit mir gesprochen. Und jedes Mal war
ich es, die bei dir angerufen hat, weil ich meinen Vater kennenlernen wollte, nachdem ich Mama endlich dazu gebracht hatte, mir zu sagen, wer er ist. Es hat sich aber nicht so angehört, als wärst du ganz wild darauf, mit mir zu sprechen, deswegen habe ich nach dem dritten Versuch einfach damit aufgehört. Und warst du nicht froh darüber?«
Guðni wand sich auf seinem Stuhl. »Ich …«, begann er wieder und stand auf. »Wir sehen uns morgen früh.«
»Oder auch nicht«, murmelte Helena, als die Tür hinter ihm zugefallen war.
24
Mittwoch
Matthías stand zwar noch nicht direkt unter Verdacht, aber sie hatten ihn auch nicht zu sich bestellt, um über das Wetter zu plaudern. Sie beschlossen, einen Mittelweg einzuschlagen, vielleicht sogar einen großzügigen, teilten die Aufgaben unter sich auf und waren bereit, als er anklopfte. Sie unterhielten sich, ohne auf das Klopfen zu reagieren, gerade eben laut genug, damit man hörte, dass sie sich hinter der verschlossenen Tür befanden, bis er noch einmal, und diesmal lauter, anklopfte. Sie verstummten eine Weile, Árni ging zur Tür, ließ Matthías wortlos herein und schloss die Tür hinter ihm.
»Nimm Platz«, sagte Katrín kurz angebunden, indem sie auf den Stuhl vor dem Schreibtisch wies. Sie selbst saß auf dem Schreibtischstuhl, und Árni lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Tür. Matthías setzte sich. Das war die klassische Anordnung, und sie wirkte, denn Matthías fühlte sich augenscheinlich nicht wohl auf seinem Platz. Er sah sie beide mit gezwungenem Lächeln an, was ihn einige Mühe kostete, da Árni hinter ihm stand. Árni und Katrín reagierten mit forschenden und misstrauischen Blicken. Matthías’ Unsicherheit wuchs zusehends, trotzdem sah er jetzt besser aus als beim letzten Mal, fand Árni. Auch wenn die Ringe unter den
Augen und die hängenden Schultern darauf hindeuteten, dass er vielleicht eine weitere Dosis von dem vertragen konnte, was ihm die Krankenschwester am Montag verabreicht hatte.
»Ihr wolltet mit mir sprechen?«, fragte Matthías nach unangenehm langem Schweigen.
»Wo ist das Blatt, das du aus Ásmundurs Brief entwendet hast?«, fragte Katrín ohne Umschweife. »Genauer gesagt, Seite fünf.«
Matthías zuckte zusammen, fuhr sich hektisch mit der Zunge über die Lippen und lief feuerrot an.
»Das Blatt, das ich … was denn … was meinst du eigentlich?«
Árni grinste hinter Matthías’ Rücken und formte mit den Lippen das Wort Bingo . Katrín ließ sich keinerlei Reaktion anmerken, aber sie wusste es ebenso gut: Sie hatten den richtigen Mann, und er würde ihnen keine Schwierigkeiten machen.
Die Nachtluft war still, kalt und klar, und über den Himmel zuckten immer noch helle, blassrosa und grüne Flammen, als Steinþór auf dem Parkplatz innehielt und
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