Blutberg - Kriminalroman
voll auf und begann, die vereisten Scheiben des Jeeps abzukratzen.
»Schlafen«, murmelte er, »ich würde verdammt was drum geben, jetzt schlafen zu können.«
Róbert hätte sich am liebsten seinen Ärger von der Seele gebrüllt, etwas kaputtgeschlagen oder jemanden windelweich geprügelt. Doch nach diesem Tag war er völlig am Ende seiner Kräfte und froh, es ohne Hilfe ins Bett geschafft zu haben. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich auszuziehen. Dieser entsetzliche lange Aufenthalt in der Lagerhalle forderte seinen Tribut, das wurde ihm erst im Nachhinein klar. Die Kälte steckte ihm noch immer in den Knochen, trotz all dem, was sich danach ereignet hatte. Der Körper würde sich wieder davon erholen, deswegen machte er sich keine Gedanken, er hatte ihn schon früher überstrapaziert, ohne dass er Nachwirkungen verspürt hatte.
Róbert kannte sich jedoch gut genug, um zu wissen, dass er mit den Nerven völlig am Ende war und dass er da etwas unternehmen musste, sonst würde es schlimme Folgen haben. Aber so sehr er auch versuchte, sich selbst den Rücken zu stärken, wie er da dick vermummt unter der warmen Decke lag, er wurde den bohrenden Gedanken nicht los, dass er letzten Endes doch ein kompletter Versager war. Seine Schützlinge schienen zumindest dieser Meinung zu sein, und sie hielten damit nicht hinter dem Berg, als der Aufruf erging, dass die Arbeit wieder aufgenommen würde. Seine sogenannten Verhandlungspartner hatten offensichtlich eine noch geringere Meinung von ihm. Sie ließen sich nicht einmal dazu herab, so zu tun, als würden sie auch nur ein Wort von dem, was er sagte, ernst nehmen, sie hauten einfach mitten in der Besprechung ab. Als sei er gar nicht existent. Und dann noch dieser grobe Flegel von einem Polizisten oder was er auch immer war. Róbert hatte versucht, ihm Paroli zu bieten und auf seinem Recht zu bestehen, aber der Kerl hatte ihm einfach ins Gesicht gelacht.
»Ich zeige den Idioten an«, murmelte Róbert in sein Kopfkissen. Die Festnahme war völlig illegal gewesen, das lag auf der Hand, und er würde Anzeige erstatten, so viel stand fest. Das war doch immerhin etwas. Und es mangelte auch nicht an Interesse bei den Medien, die meisten von den Journalisten, die er angerufen hatte, hatten sich zurückgemeldet und ihn nach Strich und Faden ausgequetscht, und seine E-Mails hatten dazu geführt, dass er sechs weitere Interviews geben musste. Bestimmt würden sich noch mehr Leute mit ihm in Verbindung setzen. Morgen, dachte er, morgen erstatte ich Anzeige. Kurz vor dem Einschlummern schreckte er wieder hoch und sprang wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett.
»Das Dynamit!«, schrie er und ließ die geballte Faust auf
die Matratze niedergehen. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn, und sein Herz hämmerte wie wild. Er hatte keine Möglichkeit gehabt, sich um das Dynamit zu kümmern. Dann beruhigte er sich wieder. Es war dort, wo es war, am besten aufgehoben. »Das deichsele ich morgen«, sagte er beschwichtigend zu sich selber, »oder ich lasse es einfach da liegen.« Jetzt zog er sich einige Sachen aus und kroch wieder unter die Bettdecke. Die innere Kälte war verschwunden.
»Sieben Seiten«, sagte Stefán, »auf dem Block fehlen sieben Seiten, doch der Brief, der uns vorliegt, besteht nur aus sechs. Wo ist die siebte Seite?«
»Aber das beweist doch nichts«, protestierte Steinþór. »Er kann doch das erste Blatt für etwas anderes verwendet haben, oder er hat sich verschrieben und ein Blatt weggeworfen.«
»Er verwendete einen Bleistift«, sagte Stefán. »Er hätte es einfach wegradiert, wenn er sich verschrieben hätte.«
»Vielleicht hat ja auch von Anfang an ein Blatt gefehlt«, fuhr Steinþór unbeirrt fort. »Dafür kann es doch alle möglichen Gründe geben.«
»Ja, schon«, gab Stefán zu, »aber ich glaube das nicht. Dieser Brief ist irgendwie komisch, ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass da irgendetwas fehlt, und zwar gleich, als ich ihn das erste Mal gelesen habe. Seite fünf, glaube ich. Hier, hört mal.« Er legte zwei Seiten nebeneinander. »Das ist Seite vier, und sie endet so: Trotzdem trafen wir die Entscheidung, obwohl es dazu im Grunde genommen keinen Anlass gab und es eigentlich auch unverantwortlich war, die Arbeiten in der Schlucht unterhalb des Grats zu stoppen, bis eine Einsturzgefahr vollständig ausgeschlossen werden konnte. Was aber erst möglich war, wenn Norling und Haase die Ergebnisse der
Weitere Kostenlose Bücher