Blutberg - Kriminalroman
Árni stand direkt hinter Matthías, nicht einmal einen Meter von dessen Stuhl entfernt. Matthías spürte seine Nähe, musste sich aber umdrehen, um ihn zu sehen. Katrín dagegen lehnte sich in ihrem Bürosessel zurück und hatte die Lampe so gestellt, dass sie ins Zimmer leuchtete, und Matthías ihr nur ins Gesicht sehen konnte, wenn sie sich vorbeugte. Und nun beugte sie sich gerade vor, um genau zu sehen, wie Matthías auf das, was sie ihm im nächsten Augenblick eröffnen wollte, reagieren würde.
»Ásmundur Arason ist ermordet worden, aber das wusstest du natürlich.«
Matthías schrak zusammen und starrte sie entsetzt mit weit aufgerissenen Augen an. »Ermordet?«, stammelte er. »Aber … aber ich glaubte doch, dass er … also dass er …«
»Selbstmord begangen hätte?«, vollendete Katrín den Satz.
»Ja«, sagte Matthías unter eifrigem Kopfnicken.
»Nein«, erklärte Katrín, »er wurde ermordet. Er hat versucht, Selbstmord zu begehen, aber anscheinend hat er es aufgegeben. Und dich angerufen, nicht wahr?«
Jetzt schüttelte Matthías den Kopf genauso heftig, wie er zuvor damit genickt hatte.
»Nein«, sagte er heiser. »Das … hat er nicht getan. Ich verstehe das nicht, ich kann es einfach nicht glauben, dass er ermordet wurde, du willst nur … Was redest du da eigentlich? Wer hätte Ásmundur umbringen wollen?«
»Du zum Beispiel«, antwortete Katrín kalt. Matthías öffnete den Mund, doch Katrín bedeutete ihm zu schweigen und begann mit ihrer Darstellung. »Ásmundur ist seit Jahren einer deiner engsten Mitarbeiter, und er versucht, Selbstmord zu begehen, aber das misslingt. Er ist schwer angeschlagen, ruft dich an und bittet um Hilfe, weil du sozusagen sein bester Freund bist. Du hast es nicht weit, denn du lebst im nächsten Haus, und du machst dir seinetwegen Sorgen. Du gehst zu ihm und hörst deinem Freund zu. Er gibt dir sogar den Brief zu lesen. Und was du dort siehst, gefällt dir ganz und gar nicht.«
Matthías wollte ein weiteres Mal protestieren, aber Katrín machte unerbittlich weiter. »Du stehst auf, klopfst ihm auf die Schulter und sagst, dass alles schon wieder werden wird, dass er sich keine Gedanken zu machen braucht. Er hat sich gerade wieder etwas beruhigt, als du ihn erwürgst. Er zappelt, dein Freund wehrt sich mit Händen und Füßen und kämpft um sein Leben, doch du ziehst die Krawatte um seinen Hals so lange zu, bis er aufhört zu zappeln. Dann schleifst du ihn über den Boden und hängst ihn an der Kleiderstange auf, nimmst die Seite heraus, auf der er dir die Schuld an allem gibt, und die restlichen Blätter steckst du wieder in den Umschlag, damit alle an den Selbstmord glauben. Was für ein Glück, dass die Seiten davor und danach so gut zusammenpassten, das ließ sich ausnutzen. Dein Verstand hat einwandfrei funktioniert. Und anschließend bist du einfach wieder ganz gelassen zu deiner Hütte zurückgeschlendert, es waren ja nur ein paar Schritte, und bist ins Bett gegangen. Aber dann kam selbverständlich auf einmal der Schock, kein Wunder, dass du
nicht schlafen konntest. Man erwürgt ja nicht jeden Tag seine Freunde, das geht an die Nieren …«
Matthías auf seinem Stuhl hatte angefangen unkontrolliert zu zucken, und seine Schultern hoben und senkten sich rasch.
Katrín beugte sich vor. »Wein ruhig, es wird dir gut tun«, sagte sie. »Nur schlimm, dass es Ásmundur nichts mehr hilft. Weshalb hast du ihn erwürgt? Hattest du Angst, dass man dich wegen deiner Fehlleistungen vor Gericht stellen würde? Dass der Firma ein Prozess drohte, weil du die Empfehlungen der Sicherheitsbeauftragten in den Wind geschlagen hattest? War es tatsächlich so, wie Ásmundur sagt, hast du Geld über Menschenleben gestellt? Hast du ihn lieber umgebracht als schwindelerregende Schadensersatzleistungen hinblättern zu müssen? Hast du ihn deswegen erwürgt? Hast du ihm sein Vertrauen und seine Freundschaft damit gelohnt, ihn umzubringen?«
Matthías antwortete ihr nicht, hemmungsloses Schluchzen schüttelte ihn, und er war zu keiner Antwort fähig. Katrín wartete schweigend und geduldig ab, und Árni gab ebenfalls keinen Ton von sich. Nach einigen schier endlosen Minuten ließ das Weinen nach und wich einem lauten Röcheln, als Matthías die Nase hochzog. Er räusperte sich.
»Entschuldigt bitte«, sagte er leise. »Es ist in letzter Zeit nicht einfach für mich gewesen. Das nimmt einen ganz schön mit. Wie du sagst, Ásmundur war einer meiner engsten Mitarbeiter,
Weitere Kostenlose Bücher