Blutberg - Kriminalroman
Kräften zu beeilen, sowohl mit diesen Fingerabdrücken als auch mit allem anderen, was sich in Ásmundurs Wohnung befunden hatte. Von Fridjón hingegen bekam man im Augenblick überhaupt keine Reaktion.
»Dann geht es jetzt also nur noch um dieses gebohrte Loch«, murmelte Katrín und zog den Reißverschluss ihrer Goretexjacke hoch. Sie beschloss, Matthías zu fragen, wer es gebohrt hatte, er musste das doch wissen. Wenn nicht, dann würde er zumindestens wissen, wer es wusste.
Drei Portugiesen, zwei Isländer und vier Chinesen, dachte Árni, und keiner von denen hatte etwas gesehen. Er sah auf die Uhr, es war schon zwölf, der Schichtwechsel hatte stattgefunden. Sollte er zum Essen gehen oder versuchen, Jesus zu finden? Im Geiste warf er eine Krone hoch. Der Kabeljau war oben. War das ein Hinweis, dass er zum Essen gehen sollte, oder deutete das auf Jesus, den Fischer, hin? Scheiße, dachte Árni, ich bin hungrig. Jesus kann warten.
Helena schwieg zunächst beharrlich, aber als sie von der Hochebene hinunter ins Tal fuhren, fasste sie sich ein Herz und sah ihren Vater an.
»Ich will mit dir nach Reykjavík fahren«, sagte sie entschlossen. »Ich will von hier weg. Sofort.«
Guðni verschluckte sich an Tabakfetzen und prustete die Windschutzscheibe voll. Er hielt an, säuberte die Scheibe und suchte unterdessen krampfhaft nach einer angemessenen Antwort.
»Das geht nicht«, sagte er, als er wieder losfuhr. »Das weißt du ganz genau. Du bleibst hier bei deiner Mutter, das ist am besten.«
»Nein«, sagte Helena, »du verstehst mich nicht, ich muss einfach von hier weg. Ich kann hier nicht bleiben, das musst du doch einsehen? Was glaubst du, wie das hier für mich sein wird, wenn sich erst rumgesprochen hat, was ich …« Sie ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten und senkte die Stimme. »… was ich getan habe?«
»Das wird sich nicht herumsprechen«, erklärte Guðni in der beschwichtigendsten Tonart, über die er verfügte. »Es weiß ja kaum jemand davon, nur die Jungs von der Polizei, und das wird unter uns bleiben.«
»Ich gehe jede Wette mit dir ein, dass jetzt schon das halbe Kaff Bescheid weiß«, widersprach Helena, »und die andere
Hälfte erfährt es heute Nachmittag. Glaubst du im Ernst, dass diese Armleuchter solche saftigen Storys für sich behalten können? Du spinnst wohl.«
»Die halten ihre Schnauze«, behauptete Guðni, »sonst …«
»Sonst was? Verprügelst du sie? Komm, sei realistisch. Wie ich gesagt habe, das geht bestimmt schon wie ein Lauffeuer durch den ganzen Ort. Ich gehe mit dir nach Reykjavík, Punkt, aus. Wir fahren zu Hause vorbei, damit ich ein paar Sachen mitnehmen kann, den Rest muss Mama mir nachschicken.«
Guðni hatte sehr viel gegen dieses Vorhaben einzuwenden und versuchte mit aller Macht, ihr das auszureden, kam aber nicht damit durch. Helena blieb bei ihrem Entschluss. Verdammt, überlegte Guðni, was hab ich mir da aufgehalst? Er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass das nicht gut gehen konnte. Er würde es spätestens nach einer Woche leid sein, und sie würde wahrscheinlich noch eher die Schnauze voll von ihm haben. Sie hatte keine Ahnung, was ihr da bevorstand. Sie kannte ihn überhaupt nicht. Aber sie vertraute ihm. Zählte auf ihn. Zumindest bis jetzt noch, und das war mehr, als sich von seinen anderen fünf Kindern sagen ließ. Er sah aus den Augenwinkeln zu seiner unbekannten Tochter hinüber und beschloss, dass es vielleicht richtig war, ihr eine Chance zu geben. Und sich selbst auch.
»Okay, okay, okay«, seufzte er in übertrieben resignierendem Ton, kurz bevor sie in Egilsstaðir eintrafen. »Nicht zu fassen, was du daherschwätzen kannst, du Göre. Wenn deine Mama damit einverstanden ist, darfst du mit nach Reykjavík kommen. Aber du wohnst nicht bei mir. Du kannst ein paar Tage in meiner Wohnung bleiben, bis wir ein Zimmer für dich gefunden haben. Und du wirst die Schule besuchen und gefälligst die Finger vom Dope lassen, sonst geht’s straight back to fucking Egilsstaðir , kapiert?«
Helena lächelte zum ersten Mal, seit sie ihren Vater getroffen hatte.
»Kapiert.«
Guðni blickte in die andere Richtung und lächelte ebenfalls.
»Herein«, rief Stefán. Viktor betrat zögernd das Büro, und seine Blicke irrten zwischen Stefán und Steinþór hin und her. Er blinzelte unentwegt und befeuchtete sich die Lippen wie ein Jüngling in der ersten Tanzstunde.
»Also, ihr leitet die Ermittlung hier?«, brachte er schließlich
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