Blutberg - Kriminalroman
stammelnd hervor, so leise, dass sie ihn kaum verstanden.
»Das kommt darauf an, welche Ermittlung du meinst«, antwortete Steinþór, »hier ist ja so einiges im Gange gewesen, wie du sicher weißt.«
»Ja, ja, du lieber Himmel.« Viktor wischte sich mit dem Anorakärmel über die Stirn und fuhr sich wieder mit der Zunge über die Lippen. »Also, wie ist das, wenn ich euch in einer bestimmten Sache helfe, euch wichtige - äußerst wichtige - Informationen gebe, ist es dann, wie gesagt, möglich, dass … also …«
»Nimm Platz«, sagte Stefán liebenswürdig, »und sag uns, was du weißt. Und anschließend sehen wir zu, ob wir im Gegenzug etwas für dich tun können.«
Jesus saß im orangefarbenen Winteroverall auf der Schuhbank im Eingangsbereich zur Kantine und sprühte sich Feuerzeugbenzin auf die Knie. Zur Begeisterung der zahlreichen Umstehenden zündete er sie an und wiederholte das Spiel, nachdem das Feuer ausgegangen war. Wieder und wieder. Und immer klatschten seine Kumpel, pfiffen und lachten. Árni sah dem Happening eine ganze Weile wie hypnotisiert zu, doch als Jesus
sich anschickte, zum fünften Mal seine Knie anzuzünden, beschloss er, sich einzumischen.
»Jesus?«, fragte er mit portugiesischer Aussprache. Jesus blickte hoch. Er hatte braune Augen, langes, dunkelbraunes Haar und einen Vollbart. Hübsch eigentlich und leicht feminin. Sein Blick war so unschuldig, wie er nur sein konnte.
» Sim? « sagte er in weichem, freundlichem Bariton. Er hielt das Feuerzeug an seine Knie.
Verdammt, dachte Árni. Wie redet man mit einem brennenden Jesus?
26
Mittwoch
»Du lügst«, erklärte Katrín im Brustton der Überzeugung. »Weshalb sollte er so etwas machen?«
»Gute Frage«, entgegnete Árni achselzuckend. »Weswegen zünden sich Leute ihre Knie an? Genau das habe ich ihn gefragt. Er sagte, er hätte nichts Besseres zu tun gehabt. Wahrscheinlich war der Fußballtisch nicht frei. Er hat sich dabei köstlich amüsiert und seine Kumpels auch.«
»Und hat der Overall nicht Feuer gefangen?«
»Nein. An beiden Knien waren schwarze Flecken, aber das Feuer ging jedes Mal aus, wenn das Gas oder das Benzin oder was das war, verbrannt war.«
»Sagt bloß nicht, dass es keinen Spaß macht, hier oben in Kárahnjúkar zu arbeiten«, brummte Stefán. »Jubel, Trubel, Heiterkeit, hier ist schwer was los. Was hast du sonst noch über diesen Mann in Erfahrung gebracht, heißt er wirklich Jesus?«
»Jesus, ja. Oder Hesus, so wie die das aussprechen, sogar wahrscheinlich Chesús. Über ihn gibt es nicht viel zu sagen. Er hat die Schicht mit Jorge gewechselt, um einen zusätzlichen freien Tag zu bekommen. Das scheint durchaus üblich zu sein, obwohl es im Prinzip verboten ist. Man lässt es ihnen aber durchgehen, solange es sich in Grenzen hält.«
»Wie so vieles andere hier«, sagte Stefán. »Aber was denkst du, kommt er deiner Meinung nach als potentielles Opfer für einen Mörder infrage? Oder könnte er selbst der Mörder sein, er wusste ja schließlich am allerbesten, dass Jorge dort sein würde.«
»Er ist wohl kaum ein Mörder«, sagte Árni, »das sehe ich einfach nicht vor mir. Nicht Jesus, zum Teufel noch mal. Außerdem hat er ein Alibi, das ich allerdings noch nicht überprüft habe. Er hat mir den Namen eines Mädchens in Egilsstaðir genannt, in deren Gesellschaft er sich an dem bewussten Morgen und de facto auch die ganze Nacht befunden hat. Ihr werdet nie raten, wie sie heißt …«
»María?«, schlug Auðunn grinsend vor.
»Nein, sie heißt Erna«, fuhr Árni ungerührt fort. »Und als potentielles Opfer kommt er genauso wenig in Frage wie Jorge. Er ist ein ganz normaler Arbeiter, einer von vielen. Einerseits ist er natürlich heilfroh, dass er die Schicht getauscht hat, aber andererseits hat er halbwegs Gewissensbisse deswegen, weil er meint, er wäre bestimmt besser davongekommen als Jorge, wenn er die Schicht übernommen hätte. Er geht nämlich zwischen den Kippern immer in den Arbeitsschuppen, sagte er.«
»Was bedeutet das?«, fragte Steinþór.
»Es kommen immer drei bis vier Kipper hintereinander«, erklärte Árni. »Sie holen Material in den Steinbrüchen oben, und vollbeladen kommen sie nicht gerade schnell voran. Deswegen sind da immer einige Minuten Pause zwischen den Fuhren. Und unser Jesus stellt sich dann immer in dem Schuppen unter, der so etwa fünfzig oder hundert Meter entfernt ist. Das hat Jorge aber nicht getan. Die Fahrer haben Jesus immer angemacht, wenn er zu
Weitere Kostenlose Bücher