Blutberg - Kriminalroman
das Verwaltungsgebäude nahm.
Im Eingang trat er die verdreckten Schuhe von sich, riss sich den Helm und die verschwitzte Mütze vom Kopf, nahm sich aber keine Zeit, den Overall auszuziehen, sondern marschierte forsch den Korridor entlang. Er war auf einmal die Selbstsicherheit in Person und riss die Tür zum Konferenzzimmer effektvoll auf. Dort war aber niemand, um diese Szene zu bewundern. Árni rannte nach oben und fand Stefán in seinem gegenwärtigen Büro. Er saß am Schreibtisch, und das Fenster hinter ihm stand weit offen.
»Und?«, fragte Stefán ungewöhnlich schlecht gelaunt, »wird der Herr Doktor überleben?«
»Ja, das wird er«, antwortete Árni. »Aber ich glaube, dass ich herausge…«
»Na, schön«, unterbrach Stefán ihn und stand auf. »Du kannst deine Unterlagen und deine Sachen zusammenpacken, wir hauen hier ab.«
Árni starrte ihn an. »Hauen hier ab? Aber … warum denn?«
»Weil wir hier nichts mehr zu tun haben«, erklärte Stefán unwirsch. »Als ihr weg wart, rief Svavar noch einmal an, um mir das mitzuteilen. Und wenn ich richtig darüber nachdenke, kann ich ihm eigentlich nur zustimmen.«
»Ja, aber … Wieso denn?«
Stefán setzte sich wieder und bedeutete Árni, ebenfalls Platz zu nehmen. Er rekapitulierte das, was Svavar gesagt hatte, und wies darauf hin, dass in Reykjavík genügend Aufgaben auf sie warteten.
»Im Grunde genommen deutet eigentlich nichts auf Mord hin«, erklärte er. »Es war ein Bergsturz, und möglicherweise sogar einer, den man hätte verhindern können, aber es war keine Sprengung. Du hast das ja heute selbst gesagt, und deswegen packen wir jetzt zusammen und machen uns unverzüglich auf den Weg. Für heute Nacht ist nämlich wieder ein Sturm angesagt, deswegen ist Eile geboten, wenn wir es nach Egilsstaðir schaffen wollen, um die erste Maschine morgen früh zu nehmen.«
Árni zog den Reißverschluss seines Overalls auf und schälte sich aus der oberen Hälfte.
»Aber was ist mit Ásmundur«, fragte er. »Und der Prostitution? Und dem Rauschgift?«
Stefán schüttelte den Kopf. »Dafür sind wir nicht zuständig. Wir wurden wegen des Bergsturzes hierher geschickt, einzig und allein deswegen. Der Mord an Ásmundur ist ein Fall
für sich, und wir haben uns da nur aus dem Grunde eingeklinkt, weil wir dachten - oder besser, weil ich dachte -, dass die beiden Fälle etwas miteinander zu tun hätten. Ich glaube das zwar immer noch, obwohl ich nicht genau weiß, worin diese Verbindung besteht, aber das ist nebensächlich. Und im Hinblick darauf tappen wir letzten Endes noch mehr im Finsteren als mit dem Bergsturz. Steinþór und seine Leute werden weiter daran arbeiten ebenso wie unsere Leute vom Erkennungsdienst. Wenn sie weitere Hilfe benötigen, müssen sie die offiziell anfordern und auch dafür zahlen. Das haben sie nicht getan, und soweit ich weiß, ist der Amtmann nicht sonderlich begeistert davon, noch mehr für uns hinblättern zu müssen, als er bereits getan hat. Verständlich vielleicht, unser Aufenthalt hier kostet ganz schön was, sowohl Überstunden als auch Spesen. Solange ein sechsfacher Mord …«
»Kriegen wir Spesen?«, rutschte es Árni gegen seinen Willen heraus. Als er Stefáns Miene sah, hätte er sich am liebsten die Zunge abgebissen. »Entschuldige. Ein sechsfacher Mord, sagst du?«
»Solange ein sechsfacher Mord - und vielleicht sogar ein siebenfacher, wenn man Ásmundur mitzählt - im Bereich des Möglichen war«, fuhr Stefán fort, »war es natürlich vertretbar, aber jetzt nicht mehr. Und dasselbe gilt für die Prostitution und die Drogen und die Brücke, das liegt einfach außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs. Das Rauschgiftdezernat wird sich mit den Kollegen hier im Osten darum kümmern, nehme ich an, und die Sache mit der Prostitution ist mehr oder weniger aufgeklärt. Der Schauplatz hat sich ja sowieso nach Kópavogur verlagert. Die Brücke geht uns nichts an. Leifur und sein SEK sind schon wieder auf dem Weg hierher, heute kam eine neue Drohung, dass am Freitag etwas passieren wird. Insofern musst du doch einsehen, dass wir hier nichts mehr verloren haben.«
Die Nachricht von der bevorstehenden Abreise hatte Árni so aus dem Konzept gebracht, dass er sein eigentliches hochbrisantes Anliegen völlig vergessen hatte, doch jetzt schaltete er wieder in den richtigen Gang.
»Aber was wäre, wenn ich wüsste, wer hinter der Grünen Armee steckt?«, sagte er aufgeregt. »Würde das nichts ändern?«
Stefán sah ihn
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