Blutberg - Kriminalroman
Katrín. »Schönes Wochenende.«
Árni landete mittags auf dem Inlandflughafen von Reykjavík. Er war ziemlich übernächtigt und verkatert nach der Einladung bei Steinþór am Abend vorher, aber unendlich froh, Kárahnjúkar entronnen und wieder in die Zivilisation und Ástas Arme zurückgekehrt zu sein. Und auf dem Weg nach Hause durfte er die ganze Zeit der Held sein. Dort allerdings warteten dreißig Pappkartons auf ihn, die so schnell wie möglich ausgepackt werden sollten.
»Und du kannst damit anfangen, die Esszimmergarnitur auseinanderzuschrauben«, sagte sie. »Meine steht in der Garage bereit. Möchtest du einen Kaffee?«
»Ja, danke«, antwortete Árni müde lächelnd. »Und mach ihn bitte stark, ich habe es nötig.«
Ásta lächelte ihn verschmitzt an. »Hab ich dir jemals schlechten Kaffee gekocht?«
»Nein«, musste Árni zugeben.
»Was moserst du dann?« Sie ging zu ihm und umarmte ihn. »Diese Kartons kriegen keine Beine«, sagte sie, »sie werden auch morgen noch da sein.« Wenn Árni an irgendeinen Gott geglaubt hätte, wäre er auf die Knie gefallen, um ihm zu danken. Stattdessen ging er ins Bett und träumte gar nichts.
Lárus hielt den Jeep an der Straßengabelung an, wo sich der Weg hinunter zur Brücke mit der Piste kreuzte, die in nördlicher Richtung am Kárahnjúkar-Massiv entlangführte. Er stieg aus und blickte sich um. Der Himmel war blau und wolkenlos, und die Sicht war so, wie sie nur an einem klaren isländischen Wintertag im Hochland sein kann. Tief unter ihm wälzte sich der Gletscherfluss in seinem gigantischen steinigen Bett, bis er in der Felswand knapp nördlich davon verschwand. Die eigentliche Dimmugljúfur-Schlucht sah man wegen des provisorischen Staudamms nicht. Hinter ihm lag das kahle Hochplateau, und im Westen erhoben sich das Dyngjufjöll-Massiv und Herðubreið, die Königin der isländischen Berge. Im Südosten ragte der Snæfell majestätisch zum Himmel und machte seinem schneeigen Namen alle Ehre. Wenn er seine Augen mit der Hand beschirmte, konnte er im Süden den riesigen Gletscher ausmachen, der wie eine bedrohliche Wolkenwand anzurücken schien. Die Rentierherde hingegen war sehr viel näher, sie hob sich im schnellen Lauf gegen den Gletscher ab, schien aber nicht so recht zu wissen, wohin es gehen sollte. Natürlich war das Ganze hier eine Schande, und im Grunde genommen sogar ein Verbrechen. Aber das Gehalt war gut, Verdammt gut.
Lächelnd stieg Lárus wieder in seinen Jeep. Matthías hatte
ungewöhnlich ungeduldig am Telefon geklungen, aus irgendwelchen Gründen schien es ihm jetzt auf einmal unter den Nägeln zu brennen, eine umfassende Überprüfung sämtlicher Sicherheitsangelegenheiten in die Wege zu leiten. Und diese Aktion sollte unter Lárus’ Regie stattfinden. Was auf jeden Fall eines bedeutete: noch mehr Geld.
29
Montag
Stefán war gerade von Ásmundurs Beerdigung zurückgekehrt und hatte sich an seinem Schreibtisch niedergelassen, als leise an seine Tür geklopft wurde.
»Entschuldigung«, sagte der alte Mann, der seinen Kopf zur Tür hereinstreckte, »störe ich?«
Stefán schüttelte verneinend den Kopf. »Komm nur herein«, sagte er. Irgendwie kam ihm dieser Mann bekannt vor, doch erst nachdem er die wenigen Schritte, die er bis zu Stefáns Schreibtisch brauchte, getan hatte, erkannte er ihn. »Valdimar?«, fragte er und streckte seine Hand aus. Valdimar nickte und gab ihm die Hand, bevor er sich setzte. Stefán betrachtete ihn eingehend, wahrscheinlich war er gar nicht einmal so alt. Er ging zwar gebückt, aber er war kein gebrochener Mann. Noch nicht.
»Mein Beileid«, sagte Stefán.
Valdimar nickte. »Vielen Dank. Du kommst wohl auch von einer Beerdigung?«, fragte er, indem er auf Stefáns schwarzen Anzug deutete, den einzigen, den er besaß.
»Ja, Ásmundur und ich waren früher einmal befreundet.« Er räusperte sich. »Was kann ich für ich tun?«
»Befreundet mit Ásmundur«, murmelte Valdimar, »dann
passt es ja eigentlich. Leitest du nicht die Ermittlung in … in diesem Mordfall? Und damit im Fall meines Sohnes?«
»Nur zum Teil«, antwortete Stefán vorsichtig. »Der Fall gehört eigentlich in den Zuständigkeitsbereich unserer Leute in Egilsstaðir, und formal gesehen sind alle Ermittlungen in Mordfällen dem Staatsanwalt unterstellt. Aber trotzdem, hier in Reykjavík kann man sagen, dass ich … dass ich in irgendeiner Form diese Ermittlung leite.«
»Ich scheiß was auf Formalitäten«, erklärte
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