Blutberg - Kriminalroman
kurzem Schweigen.
»Wie zum Teufel soll ich das wissen«, knurrte Stefán, »aber irgendwas müssen wir tun. Auf keinen Fall lassen wir uns von diesem Lackaffen nach Reykjavík schicken, oder was meint ihr?«
Während die Angehörigen des SEK mit angelegtem Gewehr in die Unterkünfte eindrangen und das armselige Hab und Gut der zu Tode erschrockenen Leiharbeiter aus Portugal, China, Polen, Rumänien, Island, Kroatien, der Slowakei und noch ein paar anderen Ländern ebenso übereifrig wie unsystematisch durchwühlten, da sie keine Ahnung hatten, wonach sie eigentlich suchten, holperten Stefán und Árni in einem Landrover über eine Piste voller Schlaglöcher. Lárus hatte ihnen den Wagen nach einigem Drängen überlassen. Hinten saßen Eydís und der Hund, ihr Vorgesetzter. Der war genau wie alle anderen auf dem Gelände eingeschlossen, denn die Brücke war unpassierbar, und das ging ihm gewaltig auf die Nerven. Seine miese Laune steigerte sich noch erheblich durch die Tatsache, dass die beiden anderen Leute vom
Erkennungsdienst auf der anderen Seite der Brücke gewesen waren und sich wahrscheinlich schon auf dem Flughafen in Egilsstaðir befanden.
»Wo zum Kuckuck ist das Ding eigentlich?«, fragte Stefán ungeduldig. »Hat er nicht gesagt, es sei nur ein Katzensprung?«
Árni wies nach links. »Da drüben«, sagte er, »ist das nicht eine Lagerhalle? Auf jeden Fall ist sie blau. Und groß. Bieg da vorn nach links ab, der Weg führt bestimmt dorthin.«
Vor der blauen Halle standen reihenweise Baumaschinen, Kräne, Planierraupen und Hydraulikbagger, die meisten gelb, aber einer war blau und ein anderer leuchtend orange. Árni starrte fasziniert auf einen großen Kranwagen, ihm kam es so vor, als stimmte da etwas nicht. Erst, als sie schon daran vorbei waren, wurde ihm klar, was das war: Der Ausleger war nämlich völlig zusammengedrückt. Aber nicht nach unten, wie es vielleicht normal sein könnte, sondern seitwärts.
»Habt ihr das gesehen?«, fragte er, »habt ihr den Kran gesehen? Wie zum Teufel …«
Stefán bog scharf um die Ecke der Lagerhalle, bremste abrupt und hatte den Motor abgestellt, noch bevor Árni den Satz zu Ende bringen konnte.
»Hier muss es sein«, sagte Stefán und sprang aus dem Wagen. Sie folgten ihm im Gänsemarsch, während er an der Wand des Schuppens entlangstiefelte und sämtliche Türen probierte, bis er eine unverschlossene fand und sie heftig auftrat. Das Scheppern, als der Türgriff gegen die Blechwand knallte, war noch nicht verklungen, als Árni die Tür hinter ihnen zumachte. Zwar wussten alle, was ihnen bevorstand, aber auf den Anblick, der sich ihnen bot, waren sie dennoch nicht gefasst.
Sieben Aluminiumsärge standen mitten in der Lagerhalle nebeneinander aufgereiht auf dem nackten Zementboden.
Alle waren offen. Eine blasse große Frau mit langen schwarzen Haaren stand am Ende der Reihe, musterte die Ankömmlinge mit großen braunen Augen und breitete die Arme aus wie eine Hausfrau, die ihre Gäste einlädt, Platz zu nehmen. Bitte schön, sagten die Hände, aber der Gesichtsausdruck gab zu verstehen, dass es sich hier nicht um eine ausgelassene Geburtstagsfeier handelte, sondern um ein Leichenmahl. Schneewittchen, schoss es Árni unwillkürlich durch den Kopf, Schneewittchen und die sieben Zwerge. In diesem Fall waren es aber die Zwerge, die tot in ihren Särgen lagen, und nicht einmal diese Frau konnte sie mit einem Kuss zum Leben erwecken … Es gelang ihm, ein albernes Kichern im Keim zu ersticken. Idiot, dachte er.
»Entschuldigung«, sagte die Frau, als sie begriff, dass der Anblick ihnen etwas in die Glieder gefahren war. »Es war nicht meine Absicht, euch mit diesem Empfang einen Schock zu bereiten. Ich ging nur davon aus, dass ihr sehen wollt, was in den Särgen ist, und nicht nur die Särge als solche, und deswegen habe ich mir erlaubt, die Deckel abzunehmen. Ich habe nicht darüber nachgedacht, wie das … wie das wirken würde.« Sie lächelte entschuldigend, doch ihre Stimme war keineswegs so gelassen wie ihre Mimik.
Stefán brummte etwas und nahm seine Kappe ab. »Kein Problem«, sagte er. »Du bist Björg, vermute ich?« Die Frau nickte. »Und der Arzt?«, fragte Stefán. »Heißt er nicht Viktor?« Sie nickte noch einmal. »Wo ist er? Ich hatte darum gebeten, ihm auszurichten …«
»Mir ist es nicht gelungen, ihn zu wecken«, unterbrach Björg ihn rasch. »Er hat so unheimlich viel zu tun gehabt … Er hat sich etwas hingelegt.« Sie blickte zur
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