Blutberg - Kriminalroman
während sie sich formierten. So standen sie steif und breitbeinig da, bis der Hubschrauber wieder in die Luft gegangen war, der Schnee sich wieder gelegt hatte, und ein schlanker Mann um die fünfzig zum Vorschein kam, der nichts als einen Anzug trug. Auf ein knappes Nicken seines Stoppelkopfs hin rannten sie los.
Leifur Hauksson, der Chef der Abteilung für Internationale
Zusammenarbeit, strich sich den Schnee von den Schultern, zog die silbergrauen Hemdmanschetten mit einem Ruck aus den Ärmeln und tippelte auf glattsohligen, hochglanzpolierten und handgemachten italienischen Schuhen hinter seinen Leuten her. Ihm war scheißkalt, aber das war Nebensache. Die Hauptsache war, das zu kaschieren. Das gelang ihm aber nicht wirklich.
13
Montag
Das einzige schwarze Objekt in der Kantine der National Power Company war eine Bibel, die aus irgendwelchen Gründen in einem durchsichtigen Plexiglaskasten in einer Ecke aufbewahrt wurde, so als handele es sich um Equipment für den Notfall, ähnlich wie eine Hausapotheke oder ein Feuerlöschgerät. Oder ein Feuermelder, überlegte Árni, fehlte bloß noch die Aufschrift. »Wenn das Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint, schlagen Sie die Scheibe ein …«
»Was?«, fragte Stefán. Guðni und Katrín zogen die Brauen hoch.
»Nichts«, murmelte Árni knallrot im Gesicht. »Ich hab bloß laut gedacht.«
»Und was, verdammt noch mal?«
Árni schüttelte den Kopf. »Gar nichts, einfach so.«
»Das bringt wohl kaum etwas«, sagte Stefán barsch. »Du solltest lieber darüber nachdenken, was unsere Aufgabe hier ist, Jungchen, egal, ob laut oder leise.« Árni nickte, immer noch rot im Gesicht. »Also dann«, fuhr Stefán fort, »ich habe Leifur getroffen, und er hat die Direktiven für das weitere Vorgehen gegeben. Entweder arbeiten wir hier auf dem Gelände unter seiner Leitung oder wir hören auf und gehen nach
Reykjavík zurück.« Er blickte sie der Reihe nach an. Árnis Röte vertiefte sich noch, Katrín runzelte die Brauen, und Guðni nahm den Stumpen aus dem Mund.
»Was zum Teufel hat dieser dämliche Leifur uns zu …«
Stefán fiel ihm ins Wort. »Er hat mit irgendeinem Wisch gewedelt, der von diesem und jenem Großkotz unterzeichnet worden ist. Svavar hat’s gesagt, bevor wir losfuhren: Wir bestimmen, wo’s langgeht, bis sich etwas anderes herausstellt. Und jetzt hat sich etwas anderes herausgestellt, und das SEK ist zur Stelle. Und Leifur in eigener Person, wie gesagt.«
»Sind wir jetzt tatsächlich diesem Scheißkerl unterstellt?«, fragte Guðni mit allen Anzeichen der Empörung.
»Nein«, erklärte Stefán, »das sind wir nicht.«
»Nicht? Willst du damit etwa sagen, dass wir den Rückzug nach Reykjavík antreten?«
Stefán schüttelte die wuschelige Mähne. »Nein, noch nicht. Nicht, dass ich mich unbedingt danach sehne, bei diesem Wetter hier oben herumzuhängen, aber wir haben das, wozu wir gekommen sind, noch nicht erledigt, und wir gehen nicht von hier weg, bevor wir das nicht geschafft haben, was auch immer Leifur sagt. Wir müssen aber vorsichtig zu Werke gehen, der Mann hat nämlich jetzt endlich die Gelegenheit, sich wie ein General aufzuspielen. Wir müssen darauf achten, ihm und seiner Truppe nicht in die Quere zu kommen. Diese Explosion heute geht uns nichts an, die kann er für sich haben. Kapiert?« Alle nickten zustimmend. »Und viel Spaß dabei. Soweit ich weiß, hat niemand etwas gesehen. Wir waren an die vierzig Leute und haben uns die Augen aus dem Kopf gestarrt, aber niemand hat etwas bemerkt. Umgekehrt haben uns aber diejenigen, die dafür verantwortlich sind, im Blickfeld gehabt. Scheißsituation!«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Árni. »Wieso meinst du, dass sie uns im Blickfeld hatten?«
»Uns ist vielleicht zu viel gesagt«, gab Stefán zu. »Aber dich haben sie zumindest gesehen, beziehungsweise das Auto, in dem du warst. Was glaubst du wohl, weshalb die Sprengung nicht wie angekündigt um zwölf Uhr erfolgte?« Árni öffnete den Mund, aber Stefán schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »was auch immer man sonst über diese Leute sagen kann, Mörder sind es offensichtlich nicht. Sie haben eindeutig gewartet, bis ihr von der Brücke runter wart. So viel steht fest, glaube ich.« Árni hätte gern widersprochen, denn Stefán vermasselte ihm die Lebensgefahr, in der er geschwebt hatte. Das passte ihm gar nicht, aber er musste sich wohl damit abfinden.
»Und was machen wir als Nächstes?«, fragte Katrín nach
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