Grades, im deinem – falls du der richtige Thien Hung bist – dritten Grades) in Verbindung gesetzt. Sie arbeitet in Hanoi bei der Zeitung Ha Noi Moi. Sie kennt viele Leute, ein Freund von ihr arbeitet im Büro von UNHCR und führt die Listen der Boat People. Und du, lieber Thien Hung, bist mit deiner Mutter Tuyết auf eines dieser Schiffe gegangen. (Ich weiß nicht, ob du jemals herausgefunden hast, wie deine Mutter hieß. Ja, sie hieß Tuyết, was »Schnee« bedeutet. Falls du der richtige Thien Hung bist und dein Leben im Schnee verbringst, wäre das nicht eine wunderschöne Fügung?) Thien Hungs gab es auf den Listen des UNHCR nicht allzu viele. Das Jahr stimmt. Das Schiff, das dich dann schließlich aufgenommen und gerettet hat, die Cap Anamur, ist ein deutsches Schiff gewesen. Das alles passt zusammen, sagt Duyên.
Ich habe nun wochenlang darüber nachgedacht, ob ich dir schreiben soll. Denn es ist mir klar, dass du – wenn du der bist, für den ich dich halte – schon längst über UNHCR oder das Rote Kreuz nach deiner echten Familie hättest suchen können. Doch in dem Newsweek-Artikel stand, dass du am Rande der Alpen bei einer gütigen Familie aufgewachsen bist. Wahrscheinlich hast du deine echte Heimat nie vermisst.
Na ja, du hast dich nicht gemeldet, und warum, ist deine Sache. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass es uns gibt.
Damit du mich schneller erreichen kannst als ich dich per Brief, sende ich dir meine E-Mail-Adresse:
[email protected]. Ich sehe jeden Tag deiner Post mit Sehnsucht und Freude entgegen.
Es grüßt dich von ganzem Herzen
Dein Cousin Minh Hải
PS: Das Lăng-Cô-Beach-Ressort, für das ich den Tauchladen manage, wäre mit und ohne Familie eine Reise wert: http://www.langcobeachresort.com.vn/ . Craig und Barbara, die Amerikaner, die die Zeitschrift liegengelassen haben, kommen mindestens zwei Mal im Jahr hierher. Ich vermute, sie sind Freunde von dir.
Craig und Barbara? Thiens Puls beschleunigte wie ein Formel-1-Rennwagen. Die beiden Amerikaner aus der Zugspitzbahn. Die ihm vor einem Jahr gegenübersaßen. Die mit den Terroristen gemeinsame Sache gemacht hatten. Barbara hatte der Verhandlungsführerin der Bundesregierung, dieser smarten und toughen Kerstin Dembrowski, die Kehle durchgeschnitten. Er hatte es selbst gesehen. Bevor er sich aus dem Tunnelfenster abgeseilt hatte. Er hatte es zu Protokoll gegeben. Und nie erfahren, was aus ihnen geworden war. Ob sie mit den Geiseln aus dem Tunnel gekommen waren. Abgetaucht. Oder – und davon war er ausgegangen – ob sie verhaftet worden waren. Und seither in Guantanamo verrotteten. Craig und Barbara. Nein, es konnte keinen Zweifel geben. »Unser Mann in Garmisch …«
Sie mussten überlebt haben. Und sie mussten hinter ihm her sein. Er war der Einzige, der sie identifizieren konnte.
Er schwebte in Lebensgefahr.
Und auch Sandra schwebte in Lebensgefahr! »Unsere Frau im Schnee …« Was meinten sie denn damit? Thien wusste, welcher Newsweek-Artikel gemeint war. Er hatte ihn ausgeschnitten und abgeheftet. Schnell zog er den Leitz-Ordner aus dem Regal. Da, das war Sandra neben ihm. Sie waren beide als Power-Paar darin vorgestellt worden. Doch Sandra ohne Bezug auf die Zugspitz-Geschichte, einfach als eine der weltbesten Skibergsteigerinnen, die zufälligerweise mit dem Mann zusammen war, der in den Anschlag verwickelt worden war. Was meinten sie mit »Frau aus dem Schnee«? Wann hatten sie Sandra getroffen? Sie war doch an diesem Tag gar nicht dabei gewesen.
Oder doch?
Was verheimlichte ihm seine Freundin? Warum wollte sie unbedingt mit nach St. Moritz? Woher hatte sie das ganze Geld? Was wurde hier gespielt?
»Was ist los, mein Lieber? Du stehst da wie vom Donner gerührt. Willst du mir nicht deinen Brief vorlesen?«, fragte Sandra von der Couch her.
»Er ist auf Englisch.«
»Wo ist das Problem?«
»Er ist von einem Vietnamesen, der behauptet, mein Cousin zu sein. Er hat meine Daten über UNHCR.«
»Dazu ist das Flüchtlingshilfswerk der UN ja auch da – Familien zusammenzubringen.«
»Nach fast vierzig Jahren?«
»Hat er von dir in der Zeitung gelesen?«
»So ungefähr.« Thien musste sich setzen.
»Du hast sie verdrängt. Deine Vergangenheit. Deine Herkunft. Stimmt’s?«, forschte Sandra in seinem Unterbewusstsein.
»Wie könnte ich das? Jeden Tag, wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich einen Mann, der ganz eindeutig nicht aus Garmisch-Partenkirchen stammt.«
»Was will dein angeblicher