Bluteis: Thriller (German Edition)
entnehmen.
»Luxor Fondsgesellschaft …« Sonndobler wandte den Kopf und sah Annemarie Käppli an, die schon wieder hinter ihrem Computer saß. Sie hatte sofort, als der Mann den Namen seines Auftraggebers erwähnte, »Luxor« in die Suchmaske des MIP-Systems eingegeben.
»Luxor Finance and Investments limited. Sitz auf Zypern.« Annemarie Käppli klickte zweimal mit der Maus. »Hat vor einer Woche ein Konto bei unserer Niederlassung in Liechtenstein eröffnet.« Sie stutzte. »Einlage: ein US-Dollar.«
»Und wenn Ihr System gut wäre, würden Sie sehen, dass wir auch eine Stammaktie der Caisse Suisse erworben haben«, sagte d’Annecy mit gefrorenem Lächeln. »Ich vertrete also einen Kunden und Anteilseigner.«
»Nicht gerade den allergrößten Kunden und Anteilseigner, wenn Sie ehrlich sind«, sagte Sonndobler. Er überlegte, ob er nicht besser auf dem Absatz kehrtmachen und in sein Büro zurückkehren sollte. Doch irgendetwas war an dem Mann, was seine Neugier erregte.
»Nun, das ist lediglich ein temporärer Status. In diesem Umschlag befindet sich ein Papier, dessen Inhalt über Fortbestand oder Zerschlagung des Instituts entscheidet. Wollen Sie es sich ansehen?«
Sonndobler und seine Sekretärin starrten den Mann an. In ihren Blicken mischten sich Verärgerung mit Verwunderung und Ratlosigkeit. Was wollte dieser Mann? Wer war er? Wer hatte ihn geschickt?
»Fünf Minuten.« Sonndobler wunderte sich selbst am meisten. Wollte er diesem Verrückten wirklich eine Audienz gewähren? Annemarie Käppli verschluckte sich vor Schreck.
Sonndobler drehte sich um und ging dem seltsamen Besucher voraus in sein Büro. Alexandre d’Annecy – oder wer immer der Mann war – folgte wortlos. Annemarie Käppli schloss die Tür hinter den beiden und alarmierte den Sicherheitsdienst. Noch bevor die Uniformierten das Vorzimmer betraten, öffnete sich Sonndoblers Bürotür wieder. Alexandre d’Annecy hatte nur drei Minuten benötigt, um das Anliegen der Luxor-Fondsgesellschaft vorzubringen. Er verabschiedete sich mit einem eiskalten Lächeln und einem »Merci vielmals« von Annemarie Käppli.
Dass er noch ein »Auf ein baldiges Wiedersehen« anhängte, als er bereits auf den Gang vor ihrem Zimmer getreten war, machte ihr Angst.
Freitag, 21. Dezember, 11 Uhr
Mittenwald, Deutschland, Wohnung von Sandra Thaler
Mein lieber und verehrter Cousin Thien!
Mein Name ist Nguyễn Minh Hải. Wenn du der richtige Thien Hung bist, dann wirst du dich fragen, woher ich dich kenne. Wenn du nicht der richtige bist, dann wirf den Brief einfach weg. Oder nein, es wäre sehr freundlich, wenn du mir auf jeden Fall eine E-Mail schicken würdest, damit ich erfahre, ob du der richtige bist oder nicht.
Also, woher kenne ich dich, lieber und verehrter Cousin Thien Hung? Aus den Nachrichten natürlich. Deine Geschichte ist um die Welt gegangen. Es hat ein wenig gedauert, bis sie zu uns nach Huế vordrang. Ich leite den Dive Shop in unserem Beach Ressort, und ein amerikanischer Tourist hat auf dem Tauchboot, das ich gesteuert habe, in einem Newsweek-Magazin gelesen. Er ist mitten auf dem Meer aufgesprungen und hat zu seiner Frau ganz aufgeregt gesagt: »Ein Vietnamese! Unser Mann in Garmisch!« Und dann ist er mit dem Magazin in der Hand zu seiner Frau gegangen, die auf dem anderen Ausleger meines Bootes saß, und hat ihr die Geschichte gezeigt. Und die Frau hat gerufen: »Unsere Frau aus dem Schnee!«
Ich habe nur deshalb zugehört, weil sie das Wort »Vietnamese« und »Schnee« dann noch ein paar Mal erwähnt haben. Sie waren immer noch sehr aufgeregt, haben aber leiser gesprochen. Ich habe nichts weiter verstanden, denn der Diesel des Boots war zu laut. Jedenfalls haben sie das Magazin nach dem Tauchgang an der Bar des Ressorts liegenlassen. Und ich habe es mir ausgeliehen. Darin stand eine Geschichte von einem Vietnamesen, der in Deutschland aufwuchs und der einen Terroranschlag auf einen hohen Berg vereitelt hat. Da war meine Neugierde natürlich erst recht geweckt. Besonders, weil in diesem Artikel ein Name mit Filzstift rot markiert war. Der Name Thien Hung Baumgartner. Und Thien Hung, das wusste ich, ist der Name meines Cousins, der als Baby mit einer meiner Tanten auf das Schiff gegangen ist. Die ganze Familie spricht immer wieder davon. Sie war die Einzige, die es gewagt hat, wegzugehen. Und wir haben von ihr und ihrem Baby nie wieder etwas gehört.
Ich jedenfalls habe mich mit Duyên, einer unserer Cousinen (in meinem Fall zweiten
Weitere Kostenlose Bücher