Bluteis: Thriller (German Edition)
Cousin?«
»Dass ich Laut gebe, ob ich es bin oder nicht.«
»Und, tust du?«
»Na ja, er arbeitet in einem Beach Ressort. Vielleicht muss es ja nicht immer nur Schnee im Urlaub geben.«
Sandra lachte. »Thien Hung Baumgartner, du bist ein berechnender und ganz und gar durchtriebener Mensch.« Sie stand vom Sofa auf und setzte sich auf seinen Schoß. »Tauchen, Palmen, weißer Sand … Nach der Weltmeisterschaft und dem St.-Moritz-Stress? Gar nicht schlecht! In Vietnam kann man sich Urlaub noch leisten, hört man. Was tut dein Cousin dort genau?«
»Und ich bin berechnend und durchtrieben?« Thien nippte am Tee. Dann, nach einer kleinen Pause: »Er leitet den Tauchshop.«
»Tauchen lernen wollte ich schon immer! Was für ein Glück!« Sandra sprang auf und wollte Thien den Brief aus der Hand zupfen.
Thien war schneller und zog das Papier aus ihrer Reichweite. »Nichts da. Diesen Urlaub – falls es einer wird – planen wir mal gemeinsam. Nicht dass du dich an den Rechner klemmst und sofort Flüge bestellst. Ich muss das erst mal mit meinem Cousin klären. Immer schön langsam, bitte.«
Sandra zog eine Schnute.
»Ich schreibe ihm heute zurück, okay? Aber lass es mich erst einmal selbst verdauen. Ich habe gerade Familienzuwachs bekommen.«
Vor allem brauchte Thien Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Irgendetwas stimmte nicht. An dem angeblichen Minh Hải. Und auch nicht an Sandra.
Montag, 24. Dezember, 14 Uhr
Garmisch-Partenkirchen, Osterfelder-Skigebiet
»Was schaust du dich die ganze Zeit um? Was ist los?«
»Nichts.«
»Von wegen nichts. Wer ist da hinten? Du wirst doch keine Angst haben, dass dich jemand im Schlepplift überholt?«
»Wirklich nichts, Sandra.«
»Irgendeine Tussie, wahrscheinlich.«
»Geht das schon wieder los? Muss ich den ganzen Tag auf meine Skispitzen starren?«
»Das musst du nicht, Thien. Aber du drehst dich ständig um. Den ganzen Tag schon. Ist irgendwas? Geht es dir nicht gut? Hast du vor irgendetwas Angst? Die alte Geschichte?«
»Ach, woher.«
»Also doch.«
»Schmarrn.«
»Hm.«
»Hauen wir gleich morgen früh ab? Das gibt sicher einen irren Verkehr. Am besten, so um fünf in der Früh.«
»Wenn deine Eltern uns rechtzeitig ins Bett lassen, gern. Heute ist Weihnachten, du erinnerst dich.«
»Ich muss hier raus. Mir geht dieser Ort wirklich auf den Zeiger in dieser Zeit. Vollgestopft mit Touristen.«
»Dagegen wird in St. Moritz sicherlich die pure Beschaulichkeit herrschen.«
»Da kenne ich wenigstens keinen.«
Der Lift endete. Sie fuhren nach rechts aus der Ausstiegsstelle.
»Auf geht’s, Thien! Worauf wartest du?« Sandra stieß die Skistöcke entschlossen in den Schnee und stieß sich ab. So leere Pisten wie am Weihnachtsnachmittag gab es selten.
Thien blieb oben an der Abfahrt stehen. Er wollte sich das Paar, das vier Bügel hinter ihnen den Lift hinaufgefahren war, genauer ansehen, darum tat er so, als müsste er Beschlag von seiner Skibrille wischen.
Als die beiden Touristen ausstiegen und an ihm vorbeiglitten, beruhigte sich Thien. Amerikaner, das schon, da hatte er richtig getippt. Aber viel jünger als Craig und Barbara. Diese hier fuhren in überraschend schnittigem Stil die schwarze Piste hinab.
Entwarnung.
Schnell ein Tweet und dann runter, Sandra einholen.
Samstag, 12. Januar
St. Moritz, Schweiz
Es sollte die letzte Fuchsjagd werden, die der Prominentenfriseur ausrichten würde. Das war seit dem letzten Jahr klar gewesen, als die Gemeinde St. Moritz beschlossen hatte, die beheizten Polostallungen neben dem See abzureißen. Für das Polo auf Schnee ließen sich entsprechende Neubauten errichten, doch der die Fuchsjagd veranstaltende Friseur konnte sich so etwas nicht leisten. Da sich die Jagd durch das ganze Tal zog und nicht in einem überschaubaren Rund auf dem See stattfand, gab es kaum Zuschauer und somit nur wenige Sponsoren. Nur aus Großherzigkeit – und weil die Tochter von Albert Sonndobler Pferde so toll fand – unterstützte die Caisse Suisse die Jagdveranstaltung mit einem vergleichsweise bescheidenen Betrag.
Umso exklusiver waren die Teilnehmer. Pferdefreunde aus ganz Europa, aber auch aus Kanada und Australien wollten an der letzten Engadiner Schneefuchsjagd teilnehmen. Weit über hundert Rotröcke stellten sich am Morgen auf dem zugefrorenen See auf und warteten auf das Startsignal aus den Jagdhörnern. Dann ging es durch das Gelände, auf zwei nebeneinander liegenden Parcours; der eine war der harmlose, der andere
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