Bluteis: Thriller (German Edition)
der mit den Sprüngen. Man jagte Böschungen hinauf und hinab, durchpflügte Bäche und Flüsse und ließ auf den von der Pistenraupe präparierten Schneeflächen die Pferde im gestreckten Galopp dem vorausreitenden Reiter folgen, der den Fuchs zu spielen hatte. Drei Tage dauerte das Event, jeden Tag mit anderen Zwischenstopps bei anderen Oberengadiner Spezialitätenrestaurants und einfacheren Gasthöfen, wo die Reiter ihre Stärkung im Sattel einnahmen.
Thien Hung Baumgartner hatte seine Hausaufgaben gemacht. Die Starterliste der Schneefuchsjagd hatte er sich zwei Tage vor der Veranstaltung besorgt. Und für jeden Teilnehmer mindestens fünf Minuten Google-Recherche investiert. Bei den bekannteren Namen hatte es nur wenige Augenblicke gedauert, bis er herausgefunden hatte, was er brauchte. Bei den No-Names, die ebenfalls antraten, hatte er tiefer bohren müssen. Und bei manchen Namen hatte er erst einmal gar nichts gefunden. Das waren entweder komplett unbedeutende Menschen oder Personen, die ein besonderes Sicherheitsbedürfnis dazu brachte, ihre Profile im Netz verschleiern zu lassen oder dafür zu sorgen, dass sie schlicht nicht vorhanden waren.
Wie bei dieser Prinzessin aus dem ihm unbekannten Inselstaat. Er musste ziemlich weit in die Tiefe des Netzes tauchen, um Brauchbares über Prinzessin Myulalami II. zu finden. Als Thronfolgerin würde sie einmal über Fitz’ Paradise herrschen. Spätestens dann wäre sie eine der besten Partien des Planeten. Der winzige Inselstaat war unbeschreiblich reich. Ihr Vater, König Managanumani VI., hatte entdeckt, dass sämtliche Seekabel, die die amerikanische Westküste mit Asien verbanden, durch sein Hoheitsgebiet verlegt worden waren. Teilweise lagen sie dort schon seit vielen Jahrzehnten, teilweise waren sie erst in letzter Zeit verlegt worden, um den beständig wachsenden Datenstrom zwischen den beiden Kontinenten zu kanalisieren. König Managanumani VI. hatte mit den Telefongesellschaften Amerikas wie auch Japans und Chinas Geheimverträge ausgehandelt, die ihm wenige Mikrocent pro Datenpaket, das durch sein Gebiet geschickt wurde, zusicherten. Jahr für Jahr ergaben das Hunderte von Millionen Dollar an Durchleitungsgebühren. Und es wurde mit jeder Facebookseite, die ein Jugendlicher in Los Angeles einrichtete und auf die ein Freund in Tokio zugriff, mehr. König Managanumani VI. und sein Kleinstaat Fitz’ Paradise waren Top-Gewinner des Internetbooms, ohne jemals dafür auch nur eine Zeile Software-Code produziert zu haben.
Das Königreich hatte nicht einmal eine eigene Webpräsenz. Das aus dem nie enden wollenden Geldstrom entspringende Kapital leitete Managanumani VI. direkt nach Afrika weiter, wo er große Landstriche zu Spottpreisen aufkaufte. Er plante, dort später Reis anzubauen. Seine Tochter Myulalami sollte nach ihrem Schulabschluss in der Schweiz Wirtschaftschemie an der Universität Zürich studieren. Die passenden Praktikumsplätze bei den schweizerischen Pharma- und Agrarchemiekonzernen hatte er schon besorgt. Dank der Weitsicht des pazifischen Herrschers sollte Afrika die Kornkammer der Welt werden. Auf diese Weise wollte der König in die Geschichtsbücher eingehen.
Hundertfünfzig Reiter und Reiterinnen hatten zum Schluss doch einen ganzen Tag Internet-Recherche bedeutet. Der komplette Donnerstag war dafür draufgegangen. Seine Liste mit Namen, Geschlecht, Alter des Reiters und Rasse, Farbgebung und Name des Pferdes speicherte er auf einer Website, deren Adresse nur er kannte. Dazu klippte er jeweils Fotos von Ross und Reiter. So würde er es bei allen Society-Events machen, die er in den kommenden Wochen in St. Moritz fotografieren würde. Mit seinem Smartphone hätte er dann Direktzugriff zu den Daten. Die Auftraggeber vom American Mountaineer hatten höchste professionelle Arbeit verdient, schließlich zahlten sie überdurchschnittlich.
Kurz vor acht Uhr morgens verließ Thien Baumgartner das angemietete Apartment in Maloja. Sandra lag noch im Bett der Zweizimmerwohnung, die sich in der Realität als noch schicker präsentierte, als sie auf den Internetseiten der Vermietbörse dargestellt war. Zudem bot die Umgebung wirklich ideale Trainingsbedingungen für Sandra. Sie fühlte sich hier sichtlich wohl. Sie genoss das unvergleichliche Flair des Oberengadins, das zwischen verwunschenem Bauerndorf und Mega-Metropole wechseln wie eine Schauspielerin in die Maske der Bettlerin und der Grande Dame schlüpfen konnte. Je nach Ortschaft, je nach
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