Bluterde
verantworten könnte. Und selbst wenn wir ihn wach bekommen würden, wäre er so umnebelt, dass er Ihre Fragen vermutlich nicht befriedigend beantworten könnte.«
»Verdammt!«
Femi starrte verärgert auf den Beutel mit klarer Flüssigkeit, der an dem Infusionsständer neben Adolphes Bett hing.
»Sie wirken aufgebracht, Dr. Oranghi.«
»Wie würden Sie sich fühlen, wenn eine Ihrer Kolleginnen von Rebellen entführt worden wäre?«
Dr. Singh massierte seinen steifen Nacken.
»Sie haben recht, tut mir leid. Dieses Land macht einen verrückt. Bin froh, wenn meine Zeit hier endlich rum ist.«
Femi fühlte sich schlecht, weil er seine miese Laune an dem übermüdeten Arzt ausgelassen hatte.
»Sind Sie von hier?«, fragte Singh Femi.
»Ich bin in Kinshasa aufgewachsen.«
»Wie können Sie in so einem Land nur leben?«
»Ich weiß nicht. Ich war lange in den USA. Trotzdem habe ich den Kongo immer vermisst.«
Dr. Singh lächelte und klopfte ihm auf die Schulter.
»Sie sehen aus, als ob Sie eine Mütze Schlaf brauchen könnten. Ich schlage vor, Sie und Ihr Kollege fahren jetzt nach Hause und kommen morgen früh wieder. Dann ist er bestimmt wach«, sagte er und deutete mit dem Kopf in Richtung Adolphe.
Femi warf einen letzten Blick auf den Wildhüter und ging in den Flur, wo McAllister immer noch am Telefon hing. Er klimperte demonstrativ mit dem Autoschlüssel vor ihm herum und marschierte dann nach draußen.
»Verdammt!«, entfuhr es ihm, als er das WPS-Auto sah. In der Hektik hatte er Omari und Joseph völlig vergessen. Telefonisch gab er den beiden ein kurzes Update über Adolphes Zustand und schickte sie nach Hause. Der Ärger in Omaris Stimme war unüberhörbar. Während Femi im Landrover auf McAllister wartete, fiel sein Blick auf die Ledertasche, die im Fußraum des Beifahrersitzes lag. Für einen kurzen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, McAllisters Unterlagen zu durchstöbern. Er wurde das Gefühl nicht los, dass ihm der Engländer Informationen verheimlichte, und das ärgerte ihn. Aber noch bevor er seine Gedanken zu Ende gesponnen hatte, ließ sich McAllister bereits auf den Beifahrersitz fallen.
»Ich brauche jetzt ein Bier und etwas zu essen. Wie sieht’s mit dir aus?«
»Ich könnte ein Waldschwein verdrücken!«
»La Roche?«
»Wenn du das Fünffache für ein Essen ausgeben willst, bitte.«
Die Aussicht, in irgendeinem schmierigen Restaurant in Bukavu zu essen, begeisterte McAllister nicht wirklich.
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte er Femi, der am Tor gerade den Besucherausweis durchs Fenster reichte.
»Ich lebe hier. Was denkst du?«
McAllister mochte seinen Ton nicht, aber er hielt sich zurück. Der Tag war für sie alle ein einziger Albtraum gewesen.
»Wir gehen ins Belvedere. Da wirst du mit großer Wahrscheinlichkeit der einzige Ausländer sein.«
McAllister war sich nicht sicher, ob er diese Erfahrung unbedingt machen wollte, aber er sagte nichts. Femi dirigierte den Landrover durch den abendlichen Verkehr von Bukavu. Auf der Avenue de Maniema war ein Kleintransporter umgekippt. Hupende Autos blockierten die Straße. Fliegende Händler witterten gute Geschäfte und schlängelten sich geschickt mit ihrer Ware zwischen den Fahrzeugen hindurch. Sie boten Plastikgürtel, Benzin in Flaschen und warme Getränkedosen feil.
»Auch das noch!«, stöhnte McAllister. Er war müde, fühlte sich zerschlagen.
»Keine Sorge, ich kenne eine Abkürzung.«
Zwanzig Minuten später betraten sie das Belvedere. Der Boden des Restaurants war weiß gefliest wie ein Krankenhaus, die Tische standen willkürlich in dem riesigen Raum verstreut.
»Sehr gemütlich!«, knurrte McAllister und musterte die Gäste. Femi lag mit seiner Prognose richtig, er war der einzige Weiße. Sie suchten sich einen Tisch am Fenster und bestellten Bier bei einer missmutigen Kellnerin.
»Kannst du was empfehlen?«
»Ich nehme meistens Liboké de Poisson, Fisch im Bananenblatt. Der Fisch ist frisch, kommt direkt aus dem Kivu-See.«
McAllister nickte, und während Femi bestellte, überprüfte er sein Handy auf Nachrichten.
»Gibt’s was Neues?«
McAllister legte das Telefon zur Seite und sah ihn an.
»Mein Kollege in Abidjan hat den Hintergrund-Check über General Basabo laufen lassen. Das Übliche – hochdekorierter General, verletzt bei einem Einsatz im Kongo-Krieg, sitzt im Vorstand diverser Wohltätigkeitsorganisationen. Ein wertvolles Mitglied der kongolesischen Gesellschaft.«
Femi sah ihn verzagt
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