Bluternte: Thriller
Mädchen«, sagte Evi. »Megan, Hayley. Warum mussten sie auch sterben?«
Jenny legte den Kopf schief. »Nachdem Lucy umgekommen war, war ich diejenige, die das Sagen hatte«, erwiderte sie nach einem Augenblick des Zögerns. »Wenn Tobias sich danebenbenommen hat, wenn er kleinen Mädchen unangemessen viel Aufmerksamkeit geschenkt hat, dann war ich diejenige, die ihn daran hindern konnte. Jetzt kommen Sie schon, immer eine Stufe nach der anderen.«
»Entschuldigen Sie«, keuchte Evi. »Ich tue mich so schrecklich schwer mit Treppen. Können wir einen Moment ausruhen? Also hat er angefangen, Megan zu missbrauchen? Nach dem, was mit Lucy passiert ist?«
Jennys Griff um Evis Taille lockerte sich ein wenig. »Ach, ich bin mir nicht sicher, ob er je so weit gekommen ist«, sagte sie. »Ich konnte einfach sehen, wie er sie angeschaut hat, wie er sich bemüht hat, nett zu ihrer Mutter zu sein. Das ging doch nicht, nicht, nachdem ich Lucy verloren hatte. Es ging nicht, dass er sie einfach vergisst und sich in jemand anderes verguckt.«
»Also haben Sie Megan getötet?«, fragte Evi. »Und Hayley. Haben Sie auch versucht, Millie umzubringen?«
Jenny sah Evi an, als wäre sie sehr schlichten Verstandes. »Ich hatte doch schon mein eigenes Kind getötet«, erwiderte sie. »Glauben Sie vielleicht, danach fällt es einem noch schwer, jemand anderes umzubringen?«
»Und warum dann Joe?«, fragte Evi, als Jenny Anstalten machte, sich abermals abzuwenden und die Treppe hinaufzusteigen. »Ihr Großvater hätte sich doch gar nicht für ihn interessiert. Warum haben Sie ihn entführt? Sie haben ihn doch entführt, nicht wahr?«
»Evi, er hat angefangen, sich über mich lustig zu machen.«
»Joe?«
»Mein Großvater. Sie haben ja keine Ahnung, was für ein böser alter Teufel er ist. Immer wieder hat er Witze darüber gerissen, dass die Fletchers besser bewacht würden als die Kronjuwelen, dass Millies Mutter sie nie aus den Augen lassen würde, und er ist fast jeden Tag hergekommen und hat Alice für dieses blöde Porträt Modell gesessen. Und ich wusste genau, dass er dann mit Millie spielt, sie auf den Schoß nimmt, ihre Beinchen streichelt und dass seine Finger immer höher wandern und dass er Lucy ganz vergessen würde. Das konnte ich nicht zulassen.«
»Aber Joe? Was hat –«
»Ich wusste, dass Alice nur in ihrer Wachsamkeit nachlassen würde, wenn eines ihrer anderen Kinder verschwindet.«
Evi war, als hätte sie gerade eine Ohrfeige bekommen. »Joe war ein Ablenkungsmanöver?«
Jenny zuckte die Schultern. »Ein lieber Junge«, meinte sie. »Ist ohne Widerspruch mitgekommen. Ich habe ihm erzählt, seine Schwester hätte einen Unfall gehabt und seine Mum wollte, dass ich ihn ins Krankenhaus bringe, damit er sie besuchen kann. Hat sich aber nicht schlecht gewehrt, als er kapiert hat, was los war. Ich musste ihn k. o. schlagen, um ihn –«
»Wo? Wo ist er?«
»Wo sie ihn nie finden werden. Sie haben Megan nicht gefunden, und sie werden Joe nicht finden. Schaffen Sie noch eine Stufe, Evi?«
Jake Knowles’ ältester Bruder trat an Tom vorbei und stieg die Treppe wieder hinauf. »Er ist gefesselt«, beharrte Tom. »Du kriegst ihn da nicht raus.«
Der Junge schob die Hand in die Tasche seiner Jeans und zog einen dünnen Metallstreifen heraus, etwa zwölf Zentimeter lang. Sein Daumen drückte zu, und eine lange, silberne Klinge schoss daraus hervor. »Kinderspiel«, brummte er, während er in dem Turm verschwand. Einer nach dem anderen folgten ihm die anderen drei. Jake war der Letzte. Den Fuß auf der untersten Stufe, drehte er sich zu Tom um. »Na komm schon«, sagte er, bevor er in den Turm tauchte.
Tom folgte ihm. Er war sich nicht sicher, ob das hier nun besser oder schlimmer war. Joe brauchte einen Erwachsenen, nicht diese vier Idioten. Selbst wenn sie ihn aus dem Turm herausbekamen, war es ebenso wahrscheinlich, dass sie mit ihm vom Dach fielen, wie dass sie ihn in die Kirche hinunterbringen würden. Vor ihm kletterte Jake aufs Dach. Tom hastete die letzten Stufen hinauf und spähte hinaus.
»Dan is’ fast da«, meinte Jake. Tom blickte über das Dach. Jakes Bruder Dan war nur noch ein paar Schritte von dem nordöstlichen Turm entfernt. Der mittlere Bruder war dicht hinter ihm. Von Ebba war nichts zu sehen.
»Er is’ hier!«, schrie Dan, der den Turm erreicht hatte und sich hineinbeugte. »Ich hab’ ihn!« Auch der zweite Bruder war jetzt angelangt. Tom konnte zwei Jeanshintern in den Nachthimmel ragen
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