Bluternte: Thriller
während ihr Herz sich abgemüht hat weiterzuschlagen.«
Evi wusste, dass sie nicht schreien konnte. Niemand außer Millie würde sie hören.
Die beiden Männer rannten das Moor hinunter, die Taschenlampen auf den weißen Untergrund vor ihren Füßen gerichtet. Durch den Buchenwald, an der aufgegebenen Wassermühle vorbei, über den Bach. Nachdem Gareth anscheinend wieder zu sich gekommen war, hatte ein Gefühl der Panik Harry erfasst. Sie mussten zurück. Das war alles, woran er denken konnte – zurück zum Haus der Fletchers.
Es war vielleicht vierzig Minuten her, dass sie es verlassen hatten. Inzwischen hätte die Polizei zu ihnen stoßen müssen. Auf den Zufahrtstraßen nach Heptonclough standen Polizeiwagen, gerade mal fünf Minuten vom Haus der Fletchers entfernt. Wenn Evi angerufen hätte, als er und Gareth losgefahren waren, wären sie jetzt hier. Sie waren nicht hier, was bedeutete, dass Evi die Polizei nicht angerufen hatte. Irgendetwas anderes war geschehen. Jetzt war das Ganze schlimmer, schlimmer als bloß Joe, als die Verheerungen, die Gillian ausgelöst hatte. Sie mussten zurück.
Sein Handy steckte in der Tasche seiner Jeans. Er hätte anhalten, die Polizei selbst anrufen können. Doch dazu hätte er stehen bleiben müssen.
Sie kamen an einen Zauntritt. Harry kletterte hinauf, sprang hinunter und rannte weiter, während er hörte, wie Gareth hinter ihm dasselbe tat. Jetzt waren sie auf dem Erntefeld, direkt oberhalb des Dorfes. Noch hundert Meter, und sie würden an der Stelle vorbeikommen, wo an Allerseelen das Feuer gebrannt hatte. Sie erreichten den Zaun, und Harry flankte darüber. Vorbei an Gillians altem Cottage. Das Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen war glatt, zu beiden Seiten ragten jetzt Häuser auf. Gareth keuchte an seiner Seite. Sie kamen am Ende der Wite Lane an, brauchten nur noch auf die Hauptstraße abzubiegen, als die Kirchenglocke zu läuten begann.
»Natürlich hat er mich weggezerrt«, berichtete Jenny. »Zurück nach Hause. Wir haben uns beide umgezogen, und dann haben wir angefangen zu suchen. Aber er wollte nicht wieder in die Kirche, er konnte sie nicht noch einmal sehen. Das musste ich machen.«
Denk nach, bleib ruhig. Die Polizei würde nicht kommen, aber Harry und Gareth waren bestimmt bald wieder da. Mittlerweile würden sie die Hütte erreicht, würden gefunden haben, was sie finden mussten, und sich dann auf den Heimweg gemacht haben. Evi musste nur ruhig bleiben. Musste diese Frau davon abhalten, noch mehr Unheil anzurichten. Musste sie von Millie fernhalten. Wenn ihr nur nicht so heiß wäre.
»Und dann?«, fragte sie und zwang sich, sich wieder auf die Stufe sinken zu lassen, tief durchzuatmen. »War es dann vorbei? Nachdem Sie ihn bestraft hatten? Haben Sie …« Großer Gott, was zum Teufel sollte sie sagen? »Haben Sie Frieden gefunden?«, versuchte sie es.
Jenny nickte. »Eine Weile schon, ja«, antwortete sie. »Es war, als hätte ich wieder die Kontrolle über mein Leben übernommen, können Sie das verstehen?«
»Selbstverständlich.« Evi ermahnte sich innerlich, langsam zu sprechen, so, wie sie es bei übererregten Patienten immer tat. »Kontrolle ist sehr wichtig«, meinte sie. »Wir alle brauchen das.«
»Natürlich habe ich sie schrecklich vermisst. Ich vermisse sie immer noch. Ich bin nie wirklich darüber hinweggekommen.«
»Nein.« Evi kämpfte gegen den Drang an, auf die Uhr zu schauen, und gegen das noch heftigere Bedürfnis, den Kopf in den Nacken zu legen und laut loszuheulen. »Ich glaube nicht, dass Eltern den Verlust eines Kindes jemals verwinden.«
»Aber ich hatte das Gefühl, als wäre ein Kapitel zu Ende, als könnte ich wieder weiterleben.« Jennys Augen wurden schmal. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, doch es ging zu schnell, als dass Evi hätte erkennen können, wie spät es war. »Ganz schön spät«, meinte sie. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen die Treppe hinauf.« Sie stand auf, bückte sich und fasste Evi unter den Armen. Evi sperrte sich, doch die andere Frau war stark. Sie wurde in die Höhe gezerrt, und dann schlang sich Jennys Arm um ihre Taille.
»Kommen Sie«, sagte Jenny. »Gerade habe ich sie weinen gehört, ich bin mir ganz sicher.«
»Millie fehlt nichts«, beteuerte Evi. »Aber Jenny, das hier ist wirklich wichtig.«
Jenny blieb stehen, hielt aber Evis Taille weiter fest umschlungen. »Was?«, fragte sie, und ihre Stimme wurde härter. Sie verlor allmählich die Geduld.
»Es ist nur … die anderen
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