Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
sagen.
»Ist im letzten Jahr bei ihm irgendetwas Dramatisches passiert?«
»Sein Sohn ist gestorben.«
»Etwas anderes, das nach Geld riecht?«
Frølich sah in die Luft, bevor er antwortete. »So weit bin ich noch nicht gekommen.«
Sie wurden unterbrochen, als das Telefon klingelte.
Frølich warf sich auf den Hörer, lauschte und legte auf. »Das waren die von der Wirtschaftsabteilung. Rate mal, was sie gesagt haben.«
»Lass uns nicht deine kostbare Zeit vergeuden, Frølich!«
»Niemand hat mit Røyse gesprochen. Niemand hat mit irgendwem über Welhaven gesprochen. Der Name Welhaven ist ihnen hier und da begegnet, aber es gibt keine Anzeigen gegen ihn, also keinen Fall.«
Frølich fasste mit beiden Händen um die Schreibtischkante. »Da hast du dein Mysterium, Sherlock«, sagte er grinsend. »Das ist genau das Richtige für dich, herauszufinden, welcher Polizist Røyse interviewt hat – und warum.«
Gunnarstranda zuckte noch einmal mit den Schultern. »Werde langsam neugierig auf diesen Welhaven – Anwalt mit Flecken auf der Weste. Sein Charakter gefällt mir. Weißt du etwas über seine Vorgeschichte?«
»Die ist deiner nicht unähnlich«, sagte Frølich ebenso kühl. »Welhaven ist im Osloer Stadtteil Grünerløkka aufgewachsen. Ihr seid gleich alt. Wahrscheinlich seid ihr zusammen zur Schule gegangen.«
Gunnarstranda schwang lange auf seinem Stuhl hin und her.
»Woran denkst du?«
Gunnarstranda zuckte zusammen. »An ein Foto an der Wand in seiner Hütte«, murmelte er. »Wo in Grünerløkka?«
»Gute Frage. So weit zurück reichen meine Informationen nicht, aber ich weiß, dass Welhaven Witwer ist, genau wie du.«
»Woran ist seine Frau gestorben?«
»Krebs, genau wie –«
Gunnarstranda wartete das Ende des Satzes nicht ab. Frølich sah zu, wie sich die Tür hinter Gunnarstranda schloss, und beendete den Satz dann doch: »Genau wie deine Frau.«
Gunnarstranda erinnerte sich an einen Arne, wie an ein Bild aus einem längst vergessenen Traum: ein Junge mit sorgfältig gezogenem Seitenscheitel und einer Lücke zwischen den Vorderzähnen. Sein Vater hatte in der Würstchenbude in Jordal gestanden. Er erinnerte sich an Arnes kundige Reden über das Kochen von Wiener Würstchen, Behauptungen, deren Quelle sein Vater war: Der Geschmack der Wurst hängt vom Fleischgehalt ab, und das Wasser darf niemals kochen, denn dann platzen sie. Altkluge Weisheiten, die in der Klasse brüllendes Gelächter ausgelöst hatten. »Denn dann platzt die Wurst!«
Konnte der Junge mit dem Seitenscheitel Anwalt geworden sein – mit einer Wohnung in Frogner und einer Hütte in den Bergen?
Der Gedanke erschien ihm völlig abstrus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der kleine Furz mit Seitenscheitel heute ein Ehemann in seinem Alter sein sollte, ein Anwalt, der seine Frau durch Krebs verloren hatte.
Er blieb stehen und sah in die Luft. Erinnerte sich an das Foto an der Hüttenwand. Die Gesichter in der Sonne. Das lächelnde Frauengesicht mit der Sonnenbrille. Der Namenszug: Emma Welhaven .
Er erinnerte sich an eine Emma.
Doch als er über die Fußgängerbrücke am Bahnhof ging, drängte sich eine andere Frau in sein Bewusstsein. Seine Gedanken kreisten um Edel und die Zeit, bevor sie krank wurde. Sätze, die sie gesagt hatte, Dinge, die sie gern zusammen gemacht hatten. An die Zeit ihrer Krankheit erinnerte er sich immer weniger. Ohne wirklich darüber nachzudenken, was er tat, stieg er in eine Straßenbahn, die direkt vor ihm hielt.
Von einem Klappsitz am Einstieg aus betrachtete er die Fassaden der Häuser. Die Straßenbahn bog in Pilestredet ein und fuhr an dem Haus vorbei, in dem er und Edel als frisch Verheiratete gewohnt hatten. Jetzt hingen weiße Gardinen in den hohen Fenstern im ersten Stock. Und auf der Fensterbank standen merkwürdige Kitschfiguren aus Glas.
Plötzlich erinnerte er sich daran, wie er damals weiße Jalousien an genau diesen Fenstern angebracht hatte. Sie hatte laut gelacht, als er wütend wurde, weil die Lamellen nie gerade hängen wollten. Das Ganze war ihm auf den Kopf gefallen, und er hatte die gesamte Jalousie zertreten.
Die Straßenbahn fuhr an Bislet vorbei. Er entdeckte ein Blumengeschäft in der Thereses Gate, stieg aus und betrat das Geschäft. Kaufte eine kleine Tüte Kalk. Dann wartete er auf die nächste Straßenbahn, stieg ein und fuhr bis zum Krankenhaus Ullevål. Mit schnellen Schritten durchquerte er das Krankenhausgelände. Betrat den Friedhof Østre Gravlund. Fand
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