Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
Bildschirm aus. »Was willst du, Gunnarstranda?«
»Kurz mit dir reden.«
Rindal und Gunnarstranda gingen auf den Flur, und Rindal – zischte. »Das ist ein Durchbruch. Drei Bandenmitglieder auf der Flucht ins Ausland, nachdem sie einen Polizisten getötet haben. Ich tippe, dass Darak Fares oder einer der anderen noch vor morgen Mittag gesteht.«
»Die Blutergüsse sind ein gefundenes Fressen für den Anwalt, Rindal.«
»Ach was, das ist nur Geheul und Geschrei. Als ob ein paar blaue Flecken ausgerechnet bei einem Typen, der in Grønland nachweislich eine Kneipenschlägerei angefangen hat, etwas zu sagen hätten. Glaubst du, er ist in dieser Nacht da weggekommen, ohne vorher ein paar ordentliche Schläge einzustecken?«
»Was sagt er über die Mordwaffe?«
»Die Verhöre haben gerade erst angefangen«, sagte Rindal kurz. »Was wolltest du?«
Gunnarstranda stand einen Moment stumm da und wog das Für und Wider ab.
»Was willst du?«, wiederholte Rindal genervt.
»Ich glaube, dass der Killi-Fall mit einem Vermisstenfall zusammenhängt, an dem Frølich arbeitet.«
»Was sagst du da?«
»Ivar Killi hat während seiner Krankmeldung auf eigene Faust Nachforschungen angestellt.«
Rindal verzog das Gesicht.
»Dieser Anwalt Welhaven, der verschwunden ist, wurde bedroht. Ich habe einen Geschäftsmann überprüft, der mit Welhaven Streit hatte, und dieser Typ hat erzählt, Killi hätte sich vor etwas über einer Woche nach Welhaven erkundigt und ihn ausgefragt.«
»Killi?«
Gunnarstranda nickte ernst. »Ivar Killi hat behauptet, er habe wegen angeblicher Unterschlagungen gegen Welhaven ermittelt. Aber Killi hat nie irgendetwas mit Wirtschaftsdelikten zu tun gehabt, und niemand hier im Haus hat jemals von einem solchen Fall gehört.«
Rindal betrachtete ihn stumm. Lange. Schließlich fragte er nachdenklich: »Sicher?«
»Glaubst du, ich komme damit zu dir, wenn ich mir nicht sicher bin?«
Rindals Gesicht blieb leer. Als etwas weiter hinten im Flur eine Tür ging, hatte er einen Grund, sich umzudrehen. Vibeke Starum kam aus ihrem Büro. Plötzlich gab es etwas Interessantes, auf das er seine Aufmerksamkeit richten konnte. »Schreib einen Bericht und leg ihn mir ins Fach«, sagte er brüsk zu Gunnarstranda, machte auf dem Absatz kehrt und rief der Frau, die den Korridor in die andere Richtung hinunterging, hinterher: »Vibeke! Vibeke! Wenn du Hilfe brauchst, um mit diesem Arschloch fertig zu werden, dann sag Bescheid!«
19
Der alte Schuhkarton quoll fast über von alten Fotos. Er erinnerte sich daran, dass Edel sich darüber beklagt hatte, dass er nie Fotos einklebte. Warum kannst du das nicht tun? , hatte er erwidert. So hatten sie eine ihrer kleinen Fehden begonnen. Keiner von ihnen wollte sich bewegen, keiner wollte nachgeben – sich dazu herablassen, ein Album zu kaufen oder die Bilder einzukleben. Die Fotos blieben im Schuhkarton.
Bei jedem Foto versuchte er, sich an die jeweilige Situation zu erinnern. So saß er da und blätterte sich in die Vergangenheit zurück. Bald tauchten abgegriffene Fotos seiner Mutter, seines Vaters und seines Bruders auf. Kleine Jungen posierten wie stramme Gardisten vor den Mülleimern zu Hause im Hof. Er fand Bilder von Kindern, die in Iladalen auf Schlitten die Hänge hinabfuhren. Er fand ein Bild von sich selbst als Kind: auf der Treppe, vor dem Fenster, durch das Licht hereinfiel. Gunnarstranda sah sich nicht gern selbst auf Fotos. Der fotografische Abdruck, die zweidimensionale Spiegelung, war etwas ganz anderes als seine eigenen Erinnerungen und die Vorstellung, die er von sich selbst hatte. Ihm missfiel der ernste, fast verschreckte Blick.
Auf dem Boden des Kartons lag ein Klassenfoto in Schwarzweiß, hübsch eingebunden in ein graues Passepartout und mit einem schützenden Seidenpapier bedeckt. Er erkannte sich selbst in der hinteren Reihe und ließ seinen Blick über die Gesichter gleiten. Die Mädchen mit Lächelmund und Schleife im Haar. Er erkannte Emma. Sie lachte lauthals und stand mit steifen Armen und geballten Fäusten da, wie immer, wenn sie angespannt war. Er erkannte Jan aus der Sofienberggata. Sein Gesicht und die gescheitelten Haare sahen so aus, wie das Gesicht und die gescheitelten Haare von Jan immer ausgesehen hatten. Der Anblick dieses voll entwickelten Kopfes auf einem kleinen Körper wirkte komisch. Er erkannte Hilmar an dem schweren Unterkiefer und seinem schiefen Lächeln. Hilmar war einer der wenigen, mit denen er über die Jahre hinweg
Weitere Kostenlose Bücher