Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
Edels Grab. Die weiße Clematis vor dem Stein war verblüht, schien aber gesund. Die Samenkapseln erinnerten an weiße Baumwollbällchen. Er streute etwas Kalk um die Wurzeln. Bei den Friedhofsgärtnern wusste man nie.
Mit gesenktem Kopf stand er da und dachte an sie. Entdeckte erst nach einer Weile, dass die kleine Figur auf dem Grabstein verschwunden war. Er beugte sich hinunter und sah genauer hin. Sie war abgekniffen worden. Nur ein Zentimeter der Kupferbefestigung ragte noch aus dem Stein. Er richtete sich wieder auf. Jemand hatte mit einer Kneifzange ein paar hundert Gramm Kupfer gestohlen. Er legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel. Sein Blick vernebelte sich einen Moment. Der banale Diebstahl raubte ihm fast den Atem, und er spürte, wie sich ein schweres Gefühl von Einsamkeit auf seine Schultern legte. Verspürte Lust, sich hinzulegen, ließ es aber sein. Stattdessen senkte er wieder den Kopf. Lange stand er so da und vergaß die Zeit. Ein gelähmter Polizist an einem geschändeten Grab. Wenn es einen Gott gab, dann musste er eine gehörige Portion Galgenhumor besitzen.
Edvard Røyse war Ende dreißig und trug ein modisches, allerdings etwas fransiges Bärtchen unter der Unterlippe. Der Bart passte zum Anzug, der schmal gestreift war und glänzte.
»Sie kommen spät«, sagte Røyse und sah demonstrativ auf die Uhr.
»Es ist etwas Unvorhergesehenes dazwischengekommen.«
»Es ist spät. Sie haben Glück, mich noch anzutreffen.«
»Tja«, sagte Gunnarstranda leichthin. »Wie ist es gelaufen?«
»Was?«
»Der Gerichtstermin mit Welhaven?«
»Fehlanzeige. Er ist nicht gekommen. Ich habe eine weitere Verschiebung des Termins beantragt. Der Richter wäre beinahe übergekocht. Wenn dieser Fall endlich verhandelt wird, dann gewinne ich, ohne den Mund aufzumachen. Das Katz-und-Maus-Spiel von Welhaven bringt nur höhere Verfahrenskosten, wenn er am Ende die Rechnung präsentiert bekommt.«
»Wenn er verurteilt wird.«
»Glauben Sie mir, Welhaven wird verurteilt!«
»Sie haben gesagt, dass die Polizei sie schon einmal wegen Welhaven befragt hat?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass ich die Herumhühnerei Ihrer Behörde, die offenbar aus lauter Leuten besteht, die nicht kommunizieren können, so was von satthabe. Die Polizei hat sich wegen des Betrugs an mich gewandt, nicht wegen seines Verschwindens.«
»Erinnern Sie sich an den Namen des Kollegen, mit dem Sie gesprochen haben?«
Røyse grinste höhnisch. »Was macht ihr Polizisten, wenn ihr euch morgens trefft. Hängt euch gegenseitig Kuhglocken um?«
Gunnarstranda lächelte ihn an.
Nach einer Weile klappte Røyse seinen Mund wieder zu und sagte: »Ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Jüngerer Typ. Sportlich. Ich weiß, dass er beim Birkebeiner-Rennen mitgemacht hat. Hab sein Gesicht da ein paar Mal gesehen.«
»Sie sind Radrennfahrer?«
»Manche nennen es Trainingssucht. Im Winter Ski laufen, im Sommer Fahrrad fahren. Das Birkebeiner-Rennen ist ein Muss.«
»Ein Polizeibeamter, der mehrmals am Birkebeiner-Rennen teilgenommen hat?« Gunnarstranda dachte einen Moment nach. »Hieß er Emil Yttergjerde?«
Røyse kaute mit seinen Oberkieferzähnen auf seinem Bärtchen und schüttelte den Kopf.
»Ivar Killi?«
»Möglich. Jedenfalls irgendetwas mit i.«
Gunnarstranda zog ein Foto aus der Tasche. »War es dieser Mann?«
Røyse warf nur einen kurzen Blick darauf. »Ja ja, das ist er.«
»Was genau hat er Sie gefragt?«
Røyse seufzte. »Hören Sie mal –«
»Ivar Killi ist erschossen worden«, sagte Gunnarstranda ruhig. »Als Zeitungsleser haben Sie das ja sicherlich mitgekriegt. Polizist auf dem Grønland Torg getötet.«
Røyse blinzelte einmal, dann noch einmal. »Richtig«, murmelte er leise. »Aber da habe ich nicht richtig geschaltet.«
Plötzlich zog er die Unterlippe ein und nagte wieder nervös an seinen Bartstoppeln.
Gunnarstranda sagte: »Es ist von größter Wichtigkeit, dass Sie jetzt versuchen, sich genau zu erinnern, worüber Sie mit ihm gesprochen haben.«
»Über meine Forderung gegenüber Welhaven. Er wollte wissen, ob ich Beweise hätte.«
»Und was haben Sie gesagt?«
»Ich habe erzählt, dass ich Welhaven vor Gericht treffen würde und dass er gerne mitkommen könnte. Ich habe gesagt, dass ich selbstverständlich Beweise hätte, sonst hätte ich niemals diese Forderungen gestellt.«
»Was für Beweise haben Sie?«
»Den Kaufvertrag.«
Gunnarstranda runzelte skeptisch die Stirn. »Den
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