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Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Titel: Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl
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draußen?
    Er schlug das Tagebuch erneut auf. Las die Worte noch einmal. Was konnte Welhaven dazu bewogen haben, sie aufzuschreiben? Wenn der Mann hierhergekommen war, um sich das Leben zu nehmen, warum hatte er dann die Tür abgeschlossen, das Fenster aber offen gelassen? Damit jemand das Buch mit den zwei Zeilen finden sollte?
    Beim Zaun entdeckte er einen Holzdeckel, wahrscheinlich der Deckel eines Brunnens. Er kletterte durch das Fenster hinaus und ging zum Brunnen. Es war ein typischer norwegischer Bergbauernbrunnen, ein ausgehobenes Loch, um das Sickerwasser aufzufangen, der obere Teil bestand aus einer gezimmerten Holzkiste mit einem Deckel. Ein Stein hielt den Deckel an seinem Platz. Er rollte den Stein weg, hob den Deckel an. Dunkelheit. Er holte seine kleine Mini-Taschenlampe aus der Tasche. Der Lichtstrahl fand nichts, nur stilles, schwarzes Wasser.

16
     
    So spätabends war es unmöglich, in der Nähe des Präsidiums einen freien Parkplatz zu finden. Gunnarstranda schickte einen ärgerlichen Gedanken an die Person, die den Keller des Polizeipräsidiums abgeschlossen hatte, als er seinen Wagen auf den Bürgersteig in der Borggata quälte. Er ließ den Motor im Leerlauf und ging zu Fuß zur Asservatenkammer. Die drei Kerle, die Dienst hatten, machten sich über ihn lustig, als er Welhavens Tagebuch auf den Tresen legte:
    »Willst du etwa ein Beweisstück abgeben?«, Rikard Svenaas blinzelte den beiden anderen zu. »Ich dachte, er wüsste nicht mehr, wo er uns findet.«
    Gunnarstranda sagte: »Es ist menschlich, etwas zu vergessen, oder?«
    »Und ich dachte, du hättest ein fotografisches Gedächtnis.«
    Das Lachen dröhnte hinter ihm her den Korridor entlang.
    Dort sah er einen Kollegen auf dem Weg zur Garage, wo die Dienstwagen standen. Petter Bulls lange Arme pendelten hin und her, als seine breite Gestalt an den Zellentüren vorbei nach draußen ging.
    Vor einer Woche hätte Gunnarstranda kaum darauf geachtet, wem er dort begegnete. Jetzt war er schreckhaft wie ein Vogel. Ohne zu zögern, verließ er mit raschen Schritten die Eingangsschleuse und sprang in seinen Wagen. Sah in den Rückspiegel. Als der weinrote Kombi durch das Tor rollte, machte Gunnarstranda mit dem Bürgersteig als Sprungbrett kehrt und trat aufs Gas. Der Wagen von Petter Bull hatte über dem linken Vorderrad eine Kerbe in der Stoßstange. Es sah aus, als hätte das Auto einen Zahn verloren.
    Obwohl Gunnarstranda die Antipathie, die seine jüngeren Kollegen ihm entgegenbrachten, nicht akzeptierte, konnte er sie doch verstehen. Sie hatten Killis Auftritt auf dem Mosseveien nicht miterlebt. Für sie bestand das Nachspiel für Killi nur aus einer Reihe von Behauptungen – Gunnarstrandas gegen Killis. Umso stärker hatten die Kollegen die Konsequenzen der Anzeige miterlebt: Gegen ihren Arbeitskameraden wurde ermittelt, er war einem immensen Druck ausgesetzt, was schließlich zu seiner Krankmeldung führte. Gunnarstrandas jüngere Kollegen hatten noch viele Jahre bei der Polizei vor sich, wollten Karriere machen und rationalisierten das Ganze, so gut sie konnten. Alle Menschen haben das Bedürfnis, sich selbst und ihre Funktion in einem positiven und sinnvollen Zusammenhang zu sehen. Als das Dezernat für interne Ermittlungen eingeschaltet wurde, rüttelte das nicht allein am sozialen Gleichgewicht in der Abteilung. Es rüttelte auch an dem Fundament, das die Autorität und das Handeln eines Polizisten legitimierte.
    Als Gunnarstranda Killi angezeigt hatte, war ihm klar gewesen, dass es Ärger geben würde. Trotzdem hatte er nicht gezögert, diesen Ärger auszulösen. Er war nicht auf soziale Akzeptanz angewiesen, um seine Arbeit machen zu können. Dafür war er zu alt. Außerdem fühlte er sich in einem Kollegium, in dem man nach Feierabend entweder zusammen trank und tratschte oder sich über intimere Beziehungen ausließ, sowieso fehl am Platze. Er wusste besser als irgendein jüngerer Kollege, dass Polizist zu sein ein Gefühl der Entfremdung gegenüber »gewöhnlichen« Menschen mit sich brachte. Doch Gunnarstranda hatte dieses Gefühl immer als einen Teil des Jobs betrachtet – als eine Dimension seines Berufs. Wenn etwas passierte, dann zog man die Konsequenzen daraus. Killi anzuzeigen war für ihn eine ganz natürliche Entscheidung gewesen. Man warf nicht einfach seine Werte über Bord, nur um einen Kollegen zu decken.
    Gunnarstranda akzeptierte die Machtstruktur seiner Behörde. Deshalb konnte er auch verstehen, dass die

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