Blutfeuer
ebenfalls auf die Beine und nahm Egberts
Hand. Händchen haltend war er seit seiner Zeit im Kindergarten nicht mehr
unterwegs gewesen. Ein absolut ekliges Gefühl. Zum Glück schien sie niemand
mehr zu beachten. Seine Hand nahm er nur noch wie einen Fremdköper war. Wenn
ihm Haderlein das nächste Mal ein solches Verhör zuwies, würde er lieber eine
Woche lang Hühner schlachten. Er schaute sich um. Überall lagen Pärchen neben
den Feuern im Gras und bereiteten sich auf einen entspannten Abend vor. Ein
wohlbekannter süßlicher Geruch von illegalen Rauchwaren stieg ihm in die Nase.
Misstrauisch beäugte er seinen Gesprächspartner und kontrollierte, dass dieser
auch brav den Anstandsabstand wahrte.
»Hörst du, wie die Grillen zirpen?«, fragte Egbert, während sie an
der großen, kreisförmigen Lindenallee entlangliefen.
Doch Lagerfeld sah nur noch die fummelnden und knutschenden
Babylonier vor seinem geistigen Auge. »Das sind keine Grillen«, sagte er voller
böser Vorahnungen, »das sind Reißverschlüsse.«
Egbert erwiderte nichts, sondern horchte nur weiter versonnen in die
laue Sommernacht.
Lagerfeld versuchte es erneut. »Also, Egbert, war dein Herr und
Meister einmal mit einer blonden Frau hier? Hast du etwas bemerkt? Oder hat er
vielleicht einmal von einer Frau gesprochen?«
Egbert schwieg. Lagerfeld überlegte schon, ob er ihn überhaupt
verstanden hatte, doch dann fing der Jünger an zu reden. »Der Gesegnete umgibt
sich gern mit seinen Kindern«, erklärte er sanft. »Aber nur selten liegt ihm
ein Kind so sehr am Herzen, dass er es auf Dauer neben sich bettet. Doch in der
letzten Woche war eine blonde Dienerin täglich an seiner Lagerstatt, das ist
richtig. Sie muss ein sehr wertvoller Mensch sein.« Egbert hatte einen
nachdenklichen Blick aufgelegt.
»Weißt du vielleicht den Namen der Dienerin?«, fragte Lagerfeld
eindringlich. Doch Egbert schüttelte nur lächelnd den Kopf. Sie hatten die
Kapelle mit ihren Linden nun das erste Mal umkreist und starteten in die zweite
Runde. Mit der freien Hand holte Lagerfeld das Fahndungsfoto der Rosenbauers
aus der Jackentasche und hielt es Egbert vor die Nase. »Sah die Frau vielleicht
so aus?«, fragte er.
Egbert schaute nur kurz auf das Bild und lächelte sofort. »Ja, das
ist das gesegnete Kind. Ein besonders gelungenes Gewächs unserer Mutter. Aber
es gibt noch andere wertvolle Kinder, welche sie hervorgebracht hat«, säuselte
er und blickte Bernd Schmitt tief in die Augen. Sein Händedruck wurde fester
und feuchter.
Der Kommissar musste sich zusammennehmen, um nicht irgendetwas sehr
Unüberlegtes zu tun. Er war im Dienst, und er war wie gesagt Profi. Hoffentlich
dauerte das Ganze nicht mehr lange. »Und, äh, was hat der Gesalbte dann so
lange mit dem schönen Gewächs angestellt?«, fragte Lagerfeld schnell, um nicht
den kleinsten Eindruck von Romantik aufkommen zu lassen.
Aus Egberts Augen sprach die grenzenlose Selbstverständlichkeit, als
er antwortete: »Nun, er hat sie erhellt.«
»Erhellt«, wiederholte Lagerfeld und lächelte zurück.
»Wahrscheinlich die ganze Nacht, der gesalbte Schlawiner.«
Egbert drehte sich um, und ehe Lagerfeld reagieren konnte, hatte er die
andere Hand des Kommissars ergriffen. Von allen Seiten waren eindeutige
Geräusche und neckisches Kichern zu hören, als Egbert seine braunen Augen in
die Sonnenbrille Lagerfelds versenkte. »Auch du, mein Kind, solltest dich einer
Erhellung hingeben. Ich kenne die tiefsten Geheimnisse einer solchen …«
Das Mobiltelefon des Kommissars meldete sich mit lautem Klingelton.
Das »Fun Fun Fun« der Beach Boys jubelte ihm gerade zur rechten Zeit aus der
Jacke. Mit einem leicht schmatzenden Geräusch entwand er seine Hände dem
intensiven Griff Egberts und schnappte sich das Handy.
»Alles klar, Franz«, sagte er in das Mobiltelefon zum Abschluss des
Gesprächs. »Das war’s dann, Egbert«, rief er äußerst erleichtert dem
enttäuschten Babylonier zu. »Ich muss jetzt zurück. Aber vielen Dank für die
Auskunft, und«, er tätschelte kurz die Wange Egberts, »denke dran, am Samstag
bitte die Kutzenberger zu erhellen, gell? Sonst habt ihr hier die Wallfahrer am
Bein!« Dann drehte er sich um und ging zurück zu seinem Wagen. Das war ja gerade
noch einmal gut gegangen. Wenn er zu Hause war, würde er erst einmal duschen
und die Hände mit Jod und heißem Wasser behandeln. Dann konzentrierte er sich
voll und ganz auf die neuen Erkenntnisse, die ihm Haderlein gerade
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