Blutfeuer
hatte
die kleine Theresa also »Oma« zu Hildegard Kleinhenz gesagt. Was für eine
Tragik. Die eigene Tochter drehte krumme Dinger, und die demenzkranke
Eigentümerin der Firma kriegte nichts mehr mit und wurde praktischerweise auch
noch vom Komplizen Waldmüller abgeschoben. Sogar umgebracht hätte Gerlinde
Rosenbauer die eigene Mutter. War wohl nicht sehr beliebt gewesen. Nur Glück
beziehungsweise eine schwache Blase hatte das verhindert.
Der Bärtige war
ausnahmsweise kein Mitglied der erlauchten Familie, sondern ein Jugendfreund
von Leonhard Pechmann. Ein ehemaliger Ausbilder bei der GSG 9, als die noch bestand, später Leibwächter, unter
anderem von prominenten Profisportlern. Pechmann hatte ihn für die unangenehmen
Jobs engagiert, und der arme Daniel Brosst war nur ein williger Spielball für
Gerlinde Rosenbauers billiges Ablenkungsmanöver gewesen.
Haderlein hatte genug
gehört. Er ging zwei Türen weiter zu einem Raum, in dem Theresa mit der
Psychologin plauderte. Das Mädchen wirkte erstaunlich ruhig.
»Wie geht es dir, Theresa?«,
fragte er sie und strich ihr über den Kopf.
Sie schaute ihn traurig,
aber gefasst an. »Ich möchte Gimli und meine Oma besuchen«, sagte sie dann
selbstbewusst.
Haderlein schaute überrascht
die Psychologin an, die nickte, aber sicherheitshalber mitkommen wollte.
»Na, dann wollen wir den
Wunsch unserer tapferen, kleinen Heldin mal erfüllen«, sagte er lächelnd, und
Theresa sprang auf, um die Hand des netten Kommissars zu nehmen. In diesem
Moment betrat Lagerfeld das Büro.
»Du kannst uns eigentlich
gleich begleiten, Bernd«, sagte Haderlein. »Der liebe Pechmann hat gerade
geplappert wie ein Wasserfall. Ich habe einiges zu berichten.«
»Und ich erst!«, meinte
Lagerfeld grinsend.
Der Zwerg lag im künstlichen
Koma. Zahlreiche Schläuche und Apparaturen hingen an seinem gedrungenen Körper.
Die vielen Narben zeugten von einem verletzungsreichen Leben. Die Ärzte
meinten, dass er es schaffen würde, trotzdem würde er wohl eine längere Zeit
auf der Intensivstation verbringen müssen, bevor er wiederhergestellt war.
Theresa verdrückte eine
kleine Träne, dann ging sie zu Gimlis Bett und hauchte ihm einen schnellen Kuss
auf die narbige Wange. »Jetzt will ich zu Oma«, sagte sie leise und blickte
Franz Haderlein mit traurigen Augen an.
Schweigend verließen die
vier Gimlis Krankenzimmer.
»Oma!«, rief Theresa
Rosenbauer laut und lief ihrer Großmutter in die Arme, die mit einem seligen
Lächeln auf ihrem Bett saß und schwieg. Auch ihrer Enkelin war nicht nach Reden
zumute, sie kuschelte sich lieber in den Schoß ihrer Großmutter. Haderlein
bedeutete Lagerfeld, mit der Psychologin draußen zu warten. Eine Vorstellung,
die diesem durchaus zu gefallen schien. Der Kriminalhauptkommissar entließ ihn
lächelnd. Sein Kollege würde immer ein Tunichtgut bleiben, was Frauen
anbelangte. Nachdenklich betrachtete Haderlein wieder das tapfere kleine
Mädchen, das nun beide Elternteile verloren hatte. Irgendwann würde sie
erfahren müssen, dass ihre Mutter in den Katakomben gestorben war, aber dafür
war jetzt wirklich nicht die Zeit. Theresa brauchte erst einmal Trost, um das
Erlebte der letzten Tage zu verarbeiten.
Hildegard Kleinhenz war in
einer anderen Welt, wiegte ihre Enkelin aber weiterhin selig lächelnd hin und
her. Manche Dinge spürt man wohl durch alle Krankheit hindurch, dachte sich der
Kommissar. Er wollte das Glück der beiden nicht stören und beschloss, den
Inhalt des braunen Briefumschlages durchzusehen, den ihm Lagerfeld von
Honeypenny gegeben hatte. Es waren Fotos von dem toten Bärtigen, den Leichen
Rosenbauers und seiner Frau sowie von Gimli im Zimmer von Frau Kleinhenz. Auch
dabei war der Ausdruck einer Datei des Standesamtes der oberen Pfarre am
Kaulberg und des ehemaligen Krankenhauses im Sand. Haderlein studierte die
Dokumente, wurde aber nicht recht schlau aus ihnen. Er wurde aus seinen
Gedanken gerissen, als Theresa ihre Hand auf sein Knie legte.
»Willst du gehen?«, fragte
er sie sanft, und sie nickte. »Wo möchtest du jetzt hin, Theresa? Wir müssen
uns vor allem darüber unterhalten, wo du in der nächsten Zeit schlafen und
wohnen wirst.« Er sah, wie es in dem klugen Kopf mit dem langen blonden Zopf
heftig arbeitete. Theresas Augen sandten eine eindeutige Botschaft: Wo ist
meine Mutter? Wahrscheinlich vermutete sie schon, dass sie sie nicht mehr
wiedersehen würde, wagte aber nicht, danach zu fragen.
Dann hatte sie einen
Entschluss
Weitere Kostenlose Bücher