Blutfeuer
gefasst. »Ich möchte nach Hause«, sagte sie bestimmt. »Ich will in
meinem Zimmer schlafen.« Dann nahm sie seine Hand und schaute ihn mit ernsten
Augen an. »Kannst du erst einmal bei mir bleiben? Ich glaube, ich habe sonst
Angst.« Theresa rührte Haderlein bis ins Herz.
»Ich werde sehen, was sich
machen lässt, okay?«, meinte er vorsichtig. Sie schenkte ihm ein unsicheres
Lächeln, und Haderlein reichte ihr seine Hand.
Im Garten sammelten sie
Lagerfeld und die Psychologin auf, und Haderlein erzählte der Ärztin von
Theresas Wunsch.
Richtig glücklich schien sie
damit nicht zu sein. »Eigentlich wäre es am besten, wenn sie bei ihrer Oma
bleiben könnte«, meinte sie seufzend. »Sie ist die einzige Verwandte und
vertraute Bezugsperson, die sie noch hat. In der jetzigen traumatischen
Situation wäre das meiner Meinung nach die bessere Variante.«
»Na, ich weiß nicht«, meinte
Lagerfeld zweifelnd. »Ob man sich in so einem hohen Alter noch um einen kleinen
Zwerg kümmern kann? Was meinst du, Franz, du bist doch auch bald ein Fall fürs
Altenheim … Franz?« Lagerfeld wedelte mit seiner Hand vor Haderleins Gesicht
umher.
»Was ist los? Hast du einen
Stock verschluckt, einen Geist gesehen, den Lottozettel mit den sechs Richtigen
wiedergefunden?« Ratlos schüttelte Lagerfeld den Kopf.
Franz Haderlein schrak auf
wie aus einem tiefen Traum. Was hatte Lagerfeld da gerade gesagt? Um einen
kleinen Zwerg kümmern? Dann begriff er. Er schaute durch seinen Kollegen
hindurch, als wäre der aus Glas, und reichte dann dem Mädchen noch einmal die
Hand. »Komm mal mit, Theresa, ich wollte dich noch etwas fragen, bevor du ins
Auto steigst.«
Bereitwillig folgte das
Mädchen dem Kriminalhauptkommissar bis in die Mitte des Gartens, wo die großen,
runden Blumenbeete bunt bepflanzt waren. Dort setzten sie sich auf eine Bank in
die Abendsonne. Lagerfeld und die Psychologin beobachteten, wie sich die beiden
kurz, aber angeregt unterhielten, dann strich Haderlein dem Mädchen ein letztes
Mal über den Kopf und kam ruhig und in sich versunken wieder zurück. »Dann
bringt unsere Heldin mal zu Honeypenny. Sie soll ihr erst einmal etwas zu essen
machen«, meinte er sanft.
Lagerfeld schaute ihn
fragend an. Was war denn jetzt schon wieder in den Franz gefahren? »Und du
kommst nicht mit? Der Fall ist doch abgeschlossen. Außerdem wird es Zeit, den
eindeutigen Sieger unserer kleinen Wette zu küren.«
Haderlein lachte. »Nein, ich
komme nicht mit, Bernd. Ich möchte noch ein bisschen spazieren gehen. Deine
Siegeslorbeeren müssen warten. Hier!« Mit einem kurzen Schwung warf er ihm den
kastigen Schlüsselchip des Freelanders zu. »Du wolltest doch sowieso eine
Probefahrt mit dem edlen Teil machen, oder? Ich lass mich dann von einer
Streife abholen.«
Haderlein schaute seinem
Landrover noch eine Weile gedankenversunken hinterher, dann drehte er sich um
und ging langsam wieder ins Klinikum zurück. Er hatte noch eine schwierige und
wahrscheinlich eher einseitige Unterhaltung zu führen.
Er trat in Hildegard
Kleinhenz’ Zimmer. Die alte Frau saß auf ihrem Bett und summte friedlich eine
Melodie vor sich hin, während Haderlein aus dem Fenster in den Garten blickte.
»Ich habe mit Theresa
gesprochen«, sagte er laut. »Sie hat mir von ihrer Familie erzählt. Ihrem Papa,
Mama und ihrer Oma.« Er drehte sich um, griff sich einen Stuhl, stellte ihn der
alten Frau gegenüber und setzte sich. Er versuchte, ihr in die Augen zu
schauen, aber der Blick der alten Dame war in eine Welt gerichtet, die sich
Haderlein entzog. Er holte den braunen Briefumschlag aus seiner Jackentasche
und legte den Inhalt der Reihe nach auf seine Knie.
»Das ist Ihr Schwiegersohn,
Frau Kleinhenz«, sagte er und hielt ihr das Foto vom toten Doktor Rosenbauer
vor die abwesend wirkenden Augen. Keine Reaktion. Dann hob er das Foto mit der
Leiche von Gerlinde Rosenbauer in die Höhe. »Ihre Tochter, Frau Kleinhenz. Sie
starb heute in den Katakomben Ihrer Firma. Sie wurde ermordet.« Er beobachtete
sie genau. Zuckte da ein Gesichtsmuskel? Er legte das Bild zurück und hob das
von Gimli in die Höhe. Wieder meinte er, eine undeutliche Reaktion erkennen zu
können. Diesmal nahm er das Foto ohne jeglichen Kommentar herunter, dann
faltete er den Papierausdruck Honeypenny auseinander und begann langsam
vorzulesen.
»Eintrag Geburtenregister
Stadt Bamberg aus dem Jahre 1943,
Klinikum im Sand.
Geburt eines Kindes am
21. September um 21 Uhr 57.
Geschlecht:
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